Vorerkrankungen:
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht immer für die Entgeltfortzahlung
| Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, reicht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) nicht aus, um automatisch eine Entgeltfortzahlung zu bekommen. Es darf keine Fortsetzungserkrankung vorliegen, was der Arbeitnehmer beweisen muss. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen. |
Das war geschehen
Der Kläger war in den Kalenderjahren 2019 und 2020 im erheblichen Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum August bis Dezember 2019 war er an 68 Kalendertagen und im Zeitraum Januar bis August 2020 an 42 Kalendertagen erkrankt. Am 18. August 2020 legte der Kläger eine weitere Erstbescheinigung vor und verlangte eine entsprechende Entgeltfortzahlung. Der beklagte Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Erstbescheinigungen vorgelegt, woraus zu ersehen sei, dass Vorerkrankungen nicht vorgelegen hätten. Aus Datenschutzgründen sei er zudem nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen.
Entgeltfortzahlung nur bei „neuer“ Erkrankung
Das Gericht wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die AU keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Hintergrund ist, dass die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Krankheit länger als sechs Wochen andauert. Der Arbeitnehmer hat dagegen weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Erkrankung beruht.
Aus der Entscheidung folgen diese Grundsätze für die Praxis: Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Arbeitnehmer muss beweisen
Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substanziiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen.
Datenschutz: Gesundheitsdaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen verarbeitet werden
Diese Pflicht berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Sie ist aber nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt. Dort wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist.
Quelle | LAG Hessen, Urteil vom 14.2.2022, 10 Sa 898/21
Youtube-Video:
Meinungsfreiheit überstrapaziert: Lehrer erhält fristlose Kündigung
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die fristlose Kündigung eines Lehrers des Landes Berlin als wirksam erachtet, der auf YouTube ein Video veröffentlicht hat, das eine Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ enthielt. |
Das war geschehen
Der Lehrer hat ein YouTube-Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ veröffentlicht. Am Anfang des Videos wird für etwa drei Sekunden ein Bild eingeblendet, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet ist. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgt dann eine ebenfalls etwa drei Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigt und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ trifft. Die Einblendungen zu Beginn des Videos werden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos.
Das Land Berlin hat den Lehrer u. a. wegen der Veröffentlichung dieses Videos fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des Landes Berlin vorgestellt.
Der Lehrer sieht in dem Video hingegen keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen- und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahekomme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage des Lehrers abgewiesen. Eine Auslegung des Inhalts des Videos ergebe nicht nur eine Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch an der allgemeinen, auch vom Land Berlin und der Schulsenatorin getragenen Impfpolitik. Dabei überschreite der Lehrer durch den Vergleich des Bildes mit dem Text „IMPFUNG MACHT FREI“ mit der Impfpolitik das Maß der zulässigen Kritik. Die Kritik des Lehrers sei nicht mehr durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocausts dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei aus diesem Grund unzumutbar.
Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 12.9.2022, 22 Ca 223/22
BFH-Entscheidung:
Fahrzeugwerbung: Entgelt ist oft Arbeitslohn
| Nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein von einem Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer gezahltes Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten Pkw des Arbeitnehmers Arbeitslohn, wenn dem abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt. |
Nicht jede Zahlung eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer stellt Arbeitslohn dar. Vielmehr kann ein Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer neben dem Arbeitsvertrag weitere eigenständige Verträge abschließen. Kommt einem gesondert abgeschlossenen Vertrag allerdings kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu, kann es sich insoweit um eine weitere Arbeitslohnzahlung handeln.
Ein Arbeitgeber hatte mit einem Teil seiner Arbeitnehmer „Werbemietverträge“ geschlossen. Danach verpflichteten sich diese, mit Werbung des Arbeitgebers versehene Kennzeichenhalter an ihren privaten Pkw anzubringen. Dafür erhielten sie jährlich 255 Euro. Der Arbeitgeber behandelte das „Werbeentgelt“ als sonstige Einkünfte gemäß Einkommensteuergesetz (§ 22 Nr. 3 EStG) und behielt daher keine Lohnsteuer ein. Dies war auch für die Arbeitnehmer vorteilhaft, da solche Einkünfte unterhalb eines Betrags von 256 Euro jährlich steuerfrei sind. Das Finanzamt ging aber von einer Lohnzahlung aus und nahm den Arbeitgeber für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Haftung und zwar zu Recht, wie das FG Münster und der BFH entschieden. Die Zahlungen gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis „Mietvertrag Werbefläche“ beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt.
Der BFH erachtete insbesondere die folgenden Würdigungen der Vorinstanz nicht nur als möglich, sondern als naheliegend: Dem gesondert abgeschlossenen „Mietvertrag Werbefläche“ kam unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zu. Denn die Erzielung einer Werbewirkung war nicht sichergestellt und die Bemessung des Entgelts war offensichtlich an der im Einkommensteuergesetz geregelten Freigrenze orientiert. Der Werbeeffekt war nicht wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Das FG berücksichtigte, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern geschlossen wurden und die Laufzeit der Verträge an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geknüpft war.
Quelle | BFH, Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20, Abruf-Nr. 232092 unter www.iww.de; PM Nr. 51/22 vom 3.11.2022
Kündigungsschutzklage:
Private Nutzung eines Firmenwagens: Keine Kündigung ohne Abmahnung
| Vor Ausspruch einer Kündigung ist es oft erforderlich, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Diese geht in vielen Fällen der Kündigung als mildestes Mittel vor. Hierauf hat aktuell noch einmal das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. |
Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet. Ein Arbeitnehmer hatte dann das Fahrzeug ohne Erlaubnis genutzt, da er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte, Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufzunehmen.
Der Arbeitgeber hatte das zum Anlass genommen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Dessen Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Erfolg. Es machte deutlich, dass die Pflichtverletzung hier nicht so groß sei, dass sie eine umgehende Kündigung rechtfertigen würde. Es sei in diesem Fall vielmehr erforderlich gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Pflichtverletzung abzumahnen.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.6.2022, 5 Sa 245/21