Ausfallschaden:
Keine Pflicht zur Inanspruchnahme der Vollkasko
Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, um den gegnerischen Versicherer, der erst die Ermittlungsakte abwarten möchte, von einem hohen Ausfallschaden zu entlasten.
Das ist die Quintessenz eines Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig, das die gängige Rechtsprechung zu dieser Frage wiedergibt (OLG Schleswig, 7 U 146/11).
Hinweis: Schon zur Vermeidung eines Eintrags in der HIS-Datei der Versicherer („Versicherer-Schufa“) sollte der Geschädigte die Inanspruchnahme der Vollkasko ablehnen, wenn er nicht zwingend auf die Reparatur des verunfallten Fahrzeugs angewiesen ist.
Versicherungsrecht:
Versicherer kann Anspruch auf Nachbesichtigung haben
Der gegnerische Haftpflichtversicherer hat nach Ansicht des Amtsgerichts (AG) Düsseldorf jedenfalls dann einen Anspruch auf eine eigene Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs, wenn er konkret darlegt, dass in dem ihm vorgelegten Schadengutachten vermutlich Anteile eines Altschadens als zum Neuschaden gehörig kalkuliert worden sind (AG Düsseldorf, 36 C 1991/12).
Die Zulässigkeit einer Nachbesichtigung wird in der Schadenwelt heiß diskutiert:
- In der Regel machen es sich die Versicherer viel zu leicht, indem sie ohne Angabe von Gründen eine eigene Besichtigung trotz vorliegenden Gutachtens verlangen. Das geht nicht, ein solcher pauschaler Anspruch besteht nicht.
- Wenn der Versicherer aber dezidiert angibt, warum er eine eigene Besichtigung verlangt, kann das anders sein, wie in dieser Entscheidung.
Mietwagen:
Anspruch auf Geländewagen bei täglichen Fahrten ins Jagdrevier
Benötigt der Geschädigte wegen seiner täglichen Fahrten in ein großes Jagdrevier tatsächlich ein wirklich geländegängiges Fahrzeug, hat er auch Anspruch auf Anmietung eines solchen Fahrzeugs.
Dabei muss er nach einer Entscheidung des Amtsgerichts (AG) Ratzeburg auch keinen Abschlag hinnehmen, weil sein beschädigtes Fahrzeug schon zehn Jahre alt ist und eine hohe Laufleistung aufweist. Allerdings muss er sich bei der Anmietung eines gleich großen Fahrzeugs pauschal zehn Prozent des Mietpreises für ersparte Eigenkosten anrechnen lassen (AG Ratzeburg, 23 C 90/13).
Rotlichtverstoß:
Umfahren der roten Ampel über ein Tankstellengelände ist zulässig
Wer eine rote Ampel über einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich – hier ein Tankstellengelände – umfährt, begeht keinen Rotlichtverstoß.
Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines Mannes entschieden, dem ein Rotlichtverstoß zur Last gelegt wurde. Der Mann wollte an einer Kreuzung nach links abbiegen. Da die Ampel für ihn Rotlicht zeigte, bog er vor der Kreuzung nach links auf das Gelände einer im Eckbereich der beiden Straßen liegenden Tankstelle ab, überquerte das Tankstellengelände und verließ dies wieder an der Ausfahrt zu der anderen Straße.
Die Richter am OLG haben ihn freigesprochen. Das Umfahren einer Lichtzeichenanlage könne zwar einen Rotlichtverstoß darstellen. Das Rotlicht verbiete aber nicht, vor der Ampelanlage abzubiegen und über eine reguläre Zufahrt einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich zu befahren, etwa einen Parkplatz oder ein Tankstellengelände. Von diesem Bereich dürfe man dann auch auf den hinter der Lichtzeichenanlage gelegenen Verkehrsraum einfahren. Auch wenn dieser noch durch die Anlage geschützt sei, liege kein Rotlichtverstoß des Betroffenen vor. Das Rotlicht gelte nur für den Verkehrsteilnehmer, der es – in seiner Fahrtrichtung gesehen – vor sich habe (OLG Hamm, 1 RBs 98/13).
Hinweis: Dieser Fall ist von den Fällen abzugrenzen, in denen das Umfahren einer Ampel als Rotlichtverstoß zu ahnden ist: Das Rotlicht einer Ampelanlage ordnet ein Halten vor der Kreuzung oder Einmündung an. Es schützt den Quer- oder Einmündungsverkehr. Dieser muss sich aufgrund des für ihn angezeigten Grünlichts darauf verlassen können, dass aus der gesperrten Fahrtrichtung keine Fahrzeuge in den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich hineinfahren. Zu dem durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich gehört deswegen der gesamte Kreuzungs- und Einmündungsbereich, außer der Fahrbahn auch parallel verlaufende Randstreifen, Parkstreifen, Radwege oder Fußwege. Geschützt ist dieser Bereich nicht nur vor, sondern auch ca. 10-15m hinter der Lichtzeichenanlage. Deswegen begeht einen Rotlichtverstoß, wer vor einer roten Ampel die Fahrbahn verlässt und die Lichtzeichenanlage dann über einen Gehweg, Randstreifen, Parkstreifen, Radweg oder Busspur umfährt. Gleiches gilt für denjenigen, der auf einer durch Grünlicht freigegebenen Geradeausspur in den Kreuzungsbereich einfährt und dann nach der Haltlinie auf einen durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen wechselt.
Ordnungswidrigkeit:
OLG Hamm verschärft Grenzen für bußgeldpflichtiges „Drängeln“
Eine Unterschreitung des im Straßenverkehr vorgeschriebenen Sicherheitsabstands kann mit einem Bußgeld geahndet werden, wenn die vorwerfbare Dauer der Unterschreitung mindestens drei Sekunden oder die Strecke der vorwerfbaren Unterschreitung mindestens 140 m beträgt.
Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts Unna bestätigt. Der 57 Jahre alte Betroffene befuhr mit einem Pkw die BAB 1 in Fahrtrichtung Bremen. Bei einer Verkehrsüberwachung stellte die Polizei fest, dass er mit einer Geschwindigkeit von 131 km/h über eine Strecke von 123 m lediglich einen Abstand von 26 m zum vorausfahrenden Fahrzeug einhielt. Aufgrund dieser Fahrweise verurteilte das Amtsgericht Unna den Betroffenen wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands zu einer Geldbuße von 180 EUR.
Die Richter am OLG bestätigten nun die Verurteilung des Betroffenen. Ein Abstandsverstoß könne nach der Rechtsprechung geahndet werden, wenn die vorwerfbare Abstandsunterschreitung nicht nur ganz vorübergehend sei. Situationen, die nur kurzzeitig zu einem zu geringen Abstand führten wie z.B. das plötzliche Abbremsen oder ein abstandsverkürzender Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs, seien keine schuldhafte Pflichtverletzung. Die Frage, wann eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend sei, werde in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Nach Ansicht des OLG sei sie in erster Linie nach ihrer zeitlichen Dauer zu beantworten. Bei einer Abstandsunterschreitung von mehr als drei Sekunden liege kein kurzfristiges Versagen des Fahrzeugführers mehr vor, wenn von ihm nicht zu vertretende, abstandsverkürzende Ereignisse ausgeschlossen werden könnten. Auch unter Berücksichtigung üblicher Reaktionszeiten sei von einem Fahrzeugführer zu verlangen, dass er bei einer Abstandsunterschreitung innerhalb von drei Sekunden handele, um den Sicherheitsabstand wieder zu vergrößern. Im vorliegenden Fall habe der Betroffene das versäumt.
Um besonders schnell fahrende Fahrzeuge nicht zu privilegieren, sei es – alternativ zu einer vorwerfbaren Abstandsunterschreitung von drei Sekunden – auch ausreichend, wenn diese jedenfalls eine Strecke von 140 m ausmache. Wer 140 m in weniger als drei Sekunden zurücklege überschreite die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen deutlich und erhöhe dadurch die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs. Er müsse deswegen den erforderlichen Mindestabstand auch schneller wiederherstellen (OLG Hamm, 1 RBs 78/13).