Verkehrsrecht Info - 12.2023

4.12.2023
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Verhüllungsverbot:

Keine Ausnahmegenehmigung zum Tragen eines Gesichtsschleiers im Straßenverkehr

| Das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße hat die Klage einer Muslimin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot der Straßenverkehrsordnung zum Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) beim Autofahren als unbegründet abgewiesen. Im Gegensatz zu einem aus religiösen Gründen getragenen Kopftuch (Hijab) verhüllt ein sogenannter Niqab nicht nur die Haare sowie ggf. den Hals-, Schulter und Brustbereich, sondern auch das Gesicht mit Ausnahme der Augenpartie. |

Gesicht darf nicht verhüllt werden

Die Klägerin stellte am 19.7.2021 bei dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot (§ 23 Abs. 4 S. 1 StVO). Danach darf, wer ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist. Der Antrag wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren der Klägerin erhobene Klage hat das VG jetzt abgewiesen. Der religiös begründete Wunsch der Klägerin, während des Führens eines Kraftfahrzeugs der Fahrerlaubnisklasse „B“ einen Niqab zu tragen, eröffne keinen Anspruch auf die begehrte straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung von dem bestehenden Verhüllungsverbot.

Verhüllungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar

Das Verhüllungsverbot sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Im typischen Anwendungsfall betreffe das Verhüllungsverbot in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) der Fahrzeugführer und Fahrzeugführerinnen. Werde das Tragen einer Kopfbedeckung als religiöses Symbol verstanden, komme daneben zwar auch die Religionsfreiheit in Betracht. Das Verhüllungsverbot führe jedoch nicht zu einer gezielten oder den Schutzbereich der Religionsfreiheit unmittelbar betreffenden Beschränkung. Dadurch, dass § 23 Abs. 4 S. 1 StVO das Tragen eines Niqabs nicht schlechthin verbiete, sondern eine generelle Anordnung nur für bestimmte Bereiche des Straßenverkehrs darstelle, werde die Religionsausübung nur in einer eng begrenzten und für die Religionsfreiheit typischerweise nicht wesentlichen Lebenssituation eingeschränkt.

Keine Beeinträchtigung des Grundrechts auf freie Religionsausübung

Die Voraussetzungen einer Befreiung vom Verhüllungsverbot lägen nicht vor. Insbesondere könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass durch die Ablehnung ihres Antrags überragende Rechtsgüter verletzt würden. Eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Ablehnung der begehrten Ausnahmegenehmigung sei nicht anzuerkennen. Deren Erteilung stünden im Rahmen der Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen im Gegenteil hochrangige Rechtsgüter in Form der Verkehrssicherheit, des Schutzes von Leib und Leben sowie der körperlichen Unversehrtheit Dritter entgegen. Insbesondere gewährleiste das Verhüllungsverbot die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen, um diese bei Rechtsverstößen heranziehen zu können. Die repressive Verfolgung diene zugleich präventiv der Abwehr künftiger Verkehrsverstöße. Durch die Ablehnung des Antrags sei die Klägerin auch nicht in Art. 3 GG verletzt, da das Verhüllungsverbot religions- und geschlechtsunabhängig gelte. Die Ablehnung sei auch verhältnismäßig. Insbesondere sei das Ziel des Verhüllungsverbots angesichts der Missbrauchsmöglichkeiten nicht durch eine Fahrtenbuchauflage oder andere Vorkehrungen zu erreichen.

Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz gestellt werden.

Quelle | VG Neustadt, Urteil vom 26.7.2023, 3 K 26/23.NW, PM 16/23


Verkehrsverstöße:

Voraussetzungen einer Fahrtenbuchauflage

| Eine Fahrtenbuchauflage kommt für den Fahrzeughalter nur in Betracht, wenn es nach einem Verkehrsverstoß unmöglich oder unzumutbar ist, den Täter festzustellen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat in zwei Entscheidungen dazu Stellung genommen, wann die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass ein Fahrtenbuch angeordnet werden darf: |

Fahrtenbuchauflage „kassiert“: Ermittlungen waren nicht umfassend genug

In dem einen Fall hat das OVG die Fahrtenbuchauflage aufgehoben. Mit Blick darauf, dass vieles etwa ein klares Tatfoto und die Zeugnisverweigerung der klagenden Halterin des Pkw für einen Täter aus dem Familienkreis gesprochen habe, hätte die Behörde bei der Meldebehörde mögliche, den Tätermerkmalen entsprechende Familienangehörige unter derselben Anschrift wie die Klägerin ermitteln müssen. Auf Grundlage dieser Information hätten dann womöglich deren Lichtbilder aus dem Personalausweisregister für einen Fotoabgleich angefordert werden können. Dies wäre ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen. Es sei in Verfahren dieser Art regelmäßig üblich und hätte im konkreten Fall zu einem Tatverdacht gegen den Sohn der Klägerin geführt.

Keine ausreichende Überzeugung der Täterschaft

In dem anderen Verfahren hat das OVG ausgeführt: Die Feststellung eines Fahrzeugführers ist auch dann unmöglich, wenn die Ermittlungen auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Behörde jedoch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Nichts anderes gilt, wenn zwar die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen hat, dann allerdings im Zwischenverfahren das Verfahren einstellt, da letztlich doch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft gewonnen werden konnte.

Abzustellen ist dabei, so das OVG, auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Maß der Überzeugung. Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Denn die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion.

In jedem Fall muss die Bußgeldbehörde alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen treffen. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können.

Es lag eine Verwechslung vor

Das hat das OVG hier wegen einer erkennbaren Verwechslung des Vor- und Nachnamens des vom Fahrzeughalter benannten Fahrzeugführers verneint.

Quelle | OVG Münster, Urteile vom 31.5.2023, 8 A 2361/22, Abruf-Nr. 236227 unter www.iww.de und vom 3.5.2023, 8 B 185/23, Abruf-Nr. 236226 unterwww.iww.de


Haftung:

Wenn der Poser sein Fahrzeugheck ausbrechen lässt …

| Lässt der Fahrer des beim zweispurigen Linksabbiegen links fahrenden Fahrzeugs das Heck mit Absicht driftend ausbrechen, tritt bei der dadurch verursachten Kollision mit dem rechts daneben abbiegenden Fahrzeug dessen Betriebsgefahr vollständig zurück. So entschied es das Amtsgericht (AG) Ulm. |

Der Unfallverursacher hatte zeitnah vor dem Unfallgeschehen auf einem Supermarktparklatz „Burnouts“ gefahren. Dann hatte er den Parkplatz auf die Straße fahrend driftend verlassen. Daraus schloss das Gericht basierend auf einem Sachverständigengutachten auf die Absicht, auch beim Abbiegen das Heck ausbrechen zu lassen.

Quelle | AG Ulm, Urteil vom 22.6.2023, 6 C 1429/22, Abruf-Nr. 236561 unter www.iww.de


Trunkenheitsfahrt: E-Scooter:

Führerschein im Regelfall weg, aber Ausnahmen möglich

| Das Landgericht (LG) Osnabrück hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage entschieden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. |

Amtsgericht: fünfmonatiges Fahrverbot

Erstinstanzlich sah das Amtsgericht (AG) Osnabrück von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab. Es sprach indes ein Fahrverbot von fünf Monaten aus. Hiergegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.

Gesamtschau: hohe Anforderung an Ausnahme

Das LG hat nun betont: Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung könne bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies stelle hierbei den Regelfall dar. Ob eine Ausnahme bestehe, sei durch eine Gesamtschau zu ermitteln. Höchstrichterlich würden an die Annahme einer solchen Ausnahme sehr hohe Anforderungen gestellt.

Ausnahme hier gegeben

Hier lag nach Ansicht des LG ein solcher Ausnahmefall vor. Der Angeklagte habe beabsichtigt, nur eine äußerst kurze Strecke rund 150 Meter mit dem E-Scooter zu fahren. Er habe nicht nur sein Verhalten bereut und sich hierfür entschuldigt, sondern auch seinen Worten Taten folgen lassen, indem er an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen und mit medizinischen Gutachten im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnisse nachgewiesen habe, dass er in den vergangenen Monaten keinen Alkohol getrunken habe. Das LG ging daher davon aus, dass der Angeklagte nun geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr sei, mithin eine Ausnahme vom Regelfall vorliege.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle | LG Osnabrück, Urteil vom 17.8.2023, 5 NBs 59/23, PM 30/23

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