Keine gesetzliche Regelung:
Auswirkungen der Motorradschutzkleidung auf das Schmerzensgeld
| Viele Motorradfahrer fahren im Stadtgebiet einer Großstadt mit Jogginghose, Sweatshirt und Sneakers und ohne Handschuhe, aber mit Helm: Ist dann bei einem Unfall das Schmerzensgeld wegen Mitverschuldens zu kürzen? Kommt es darauf an, ob die konkrete Verletzung durch Schutzkleidung vermieden oder wenigstens abgemildert worden wäre? Zu Beidem sagte das Landgericht (LG) Hamburg jetzt „nein“. |
Frage konnte offenbleiben
Das LG argumentiert: Dieser Anspruch des Klägers ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens zu kürzen. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die Schutzkleidung im konkreten Fall tatsächlich die für die Bemessung des Schmerzensgelds im Wesentlichen maßgebliche Verletzung des Klägers in Form einer Avulsionsfraktur verhindert hätte. Das erscheint zumindest fraglich, weil derartige Frakturen in der Regel durch eine Krafteinwirkung ausgelöst werden, die als solche aber eher nicht durch eine Schutzkleidung minimiert werden kann. Diese Frage kann jedoch dahin gestellt bleiben.
Keine gesetzlichen Vorgaben für Motorradschutzkleidung
Denn eine gesetzliche Regelung für das Tragen von Motorradschutzkleidung existierte zum Zeitpunkt des Unfalls nicht. Zumindest im Jahr 2022 gab es darüber hinaus auch noch kein allgemeines Verkehrsbewusstsein, zum eigenen Schutz als Motorradfahrer bestimmte Schutzkleidung zu tragen. Insoweit hat das LG auf die statistisch untermauerten Ausführungen in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Celle für das Jahr 2021 verwiesen (Urteil vom 13.3.2024, 14 U 122/23). Für das hier maßgebliche Folgejahr 2022 ist nicht ersichtlich, dass es insoweit eine Veränderung des Verkehrsbewusstseins gegeben haben könnte, so das LG.
Quelle | LG Hamburg, 12.7.2024, 306 0 387/23, Abruf-Nr. 243597 unter www.iww.de
Illegales Kraftfahrzeugrennen:
Polizei stellt Motorrad zu Unrecht sicher
| Die Polizei durfte ein Motorrad nach dem Anhalten des Fahrers bei einer Verkehrskontrolle aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens, das von ihr als verbotenes Kraftfahrzeugrennen bewertet wurde, nicht zur Gefahrenabwehr sicherstellen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Verbotenes Kraftfahrzeugrennen?
Im Februar 2022 wurden zwei Polizeibeamte eines Streifenwagens auf zwei Motorräder aufmerksam, die nach ihrer Einschätzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h auf einer vierspurigen Straße in Ludwigshafen fuhren, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erlaubt ist. Die Polizeibeamten folgten den beiden Motorradfahrern bis zu einer Ampel und forderten sie auf, sich in eine Seitenstraße zur Durchführung einer Verkehrskontrolle zu begeben. Während der andere Motorradfahrer flüchtete, folgte der Kläger den Anweisungen der Polizeibeamten. Diese belehrten den Kläger als Beschuldigten eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, einer Straftat, und stellten das Fahrzeug doppelfunktional sicher, also sowohl im Rahmen der Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr. Außerdem wurde die Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde vom Amtsgericht (AG) Ludwigshafen im April 2023 wegen geringer Schuld eingestellt.
Kläger ging gegen Sicherstellung des Motorrads vor: mit Erfolg
Gegen die fortbestehende Sicherstellung des Motorrads zur Gefahrenabwehr erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchverfahrens Klage, die das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße abwies. Auf die Berufung des Klägers änderte das OVG die Entscheidung des VG, hob den Sicherstellungsbescheid auf und verurteilte das beklagte Land, das sichergestellte Motorrad herauszugeben.
Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrads des Klägers lägen nicht vor. Nach § 22 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Gegenwärtig sei eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen habe oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe. Hiervon ausgehend sei die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrads getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt gewesen.
„Straßenrennen“ war durch polizeiliche Kontrolle beendet
Selbst, wenn die Polizeibeamten das Verhalten des Klägers als strafbares Straßenrennen hätten bewerten dürfen, was dahingestellt bleiben könne, trage dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr. Mit dem Anhalten des Klägers im Rahmen der anlassbezogenen Verkehrskontrolle sei das hier unterstellte strafbare illegale Kraftfahrzeugrennen des Klägers beendet gewesen. Die anschließende Sicherstellung sei demgemäß nicht zu dem Zweck erfolgt, das von den Beamten als Kraftfahrzeugrennen eingestufte Verhalten zu stoppen, sondern das Begehen künftiger Verkehrsstraftaten zu verhindern. Es hätten jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger in allernächster Zeit nach der Verkehrskontrolle mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem Motorrad an einem (weiteren) illegalen Straßenrennen teilgenommen oder sonstige Straftaten im Verkehr begangen hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein von der Polizei ertappter „Verkehrssünder“ sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten oder gar wie hier gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unbeeindruckt bleibe. Vielmehr müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, dass diese Mittel und Sanktionen den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindruckten, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße bzw. Straßenverkehrsdelikte absehe.
Einmaliges Vergehen rechtfertigte Sicherstellung nicht
Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten, beispielsweise, wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt sei. Auch ungewöhnlich viele Verkehrsverstöße in der Vergangenheit oder ein wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis könnten auf eine Unbelehrbarkeit hindeuten. Danach reiche ein strafbares Verhalten des Klägers im Februar 2022 für die Annahme, er werde in allernächster Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Straßenverkehrsdelikte begehen, nicht aus.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den sonstigen Umständen, insbesondere nicht aus der Motorisierung des Motorrads oder der Tatsache, dass gegen den Kläger zwar bereits im Jahr 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens geführt worden sei, dieses aber nicht zu einer entsprechenden strafgerichtlichen Verurteilung geführt habe.
Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.4.2024, 7 A 10988/23.OVG, PM 8/24
Abschleppkosten:
Kostenbescheid wegen Umsetzen von Elektro-Scooter ist rechtmäßig
| Das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. hat die Klage einer Anbieterin von Elektro-Scootern gegen einen Kostenbescheid der Stadt Frankfurt abgewiesen, mit dem sie zur Erstattung der Kosten von Umsetzmaßnahmen herangezogen wurde. |
Gewerblicher Vermieter von Elektro-Scootern
Die Klägerin bietet bundesweit in ca. 20 Städten Elektro-Scooter zur Nutzung durch Privatpersonen an. Diese werden in den Stadtgebieten platziert und können über eine Smartphone-App angemietet sowie nach Beendigung der Fahrt abgestellt werden.
Im September 2023 stellte eine Hilfspolizeikraft der Stadt Frankfurt a. M. fest, dass ein von der Klägerin zur Vermietung bereitgestellter Elektro-Scooter auf dem Gehweg und hier auf einem taktilen Bodenleitsystem abgestellt war, das der Orientierung von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen dient. Ein Bediensteter der Stadt Frankfurt setzte den Elektro-Scooter um. Hierfür stellte die Stadt Frankfurt der Klägerin 74 Euro in Rechnung.
74 Euro für das Umsetzen eines E-Scooters unverhältnismäßig?
Die Klägerin hat beim VG Klage gegen den Kostenbescheid erhoben, da sie der Auffassung ist, dass für die Kostenerhebung keine Rechtsgrundlage bestehe. Im Übrigen meint sie, dass die Höhe von 74 Euro unverhältnismäßig hoch sei, weil das Umsetzen um wenige Meter nicht länger als 30 Sekunden dauere. Zudem würden in anderen Städten geringere Gebühren fällig.
Stadt: 74 Euro = Mindestgebühr
Dem ist die beklagte Stadt Frankfurt entgegengetreten. Sie könne die Gebühren auf den allgemeinen Gebührentatbestand für Verwaltungstätigkeiten stützen, die eine Mindestgebühr von 74 Euro vorsehe. Die Elektro-Scooter könnten nicht ohne Weiteres umgesetzt werden, da diese einen starken Rollwiderstand aufweisen würden. Es stehe der Klägerin frei, durch eigene Beauftragte verkehrsordnungswidrige Zustände zu beheben.
Abstellen auf dem Gehweg verstößt gegen Rücksichtnahmegebot
Das VG hat die Klage abgewiesen. Es wies darauf hin, dass das Abstellen des Elektro-Scooters auf dem Gehweg jedenfalls gegen das allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoße. Die Klägerin erläuterte, dass sie mangels Daten keine Regressmöglichkeiten gegenüber den Nutzern habe. Als wesentlicher Gesichtspunkt wurde in der mündlichen Verhandlung weiter erörtert, auf welcher Grundlage die Klägerin die Elektro-Scooter im Stadtgebiet zur Verfügung stellt und ob es sich um Sondernutzung oder Gemeingebrauch handelt. Schließlich wurde diskutiert, welchen tatsächlichen Aufwand eine Umsetzung verursacht und welcher Verwaltungsaufwand in diesem Zusammenhang anfällt. Das VG hat angedeutet, dass hinsichtlich der Gebührenhöhe keine rechtlichen Zweifel bestehen dürften.
Quelle | VG Frankfurt a. M., Urteil vom 3.7.2024, 12 K 138/24.F, PM 13/24