Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht Info - 07.2022

9.07.2022
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Dokumentenversand:

Abmahnschreiben als Dateianhang einer E-Mail: Wann gilt es als „zugegangen“?

| Wird ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm klargestellt. |

Das war geschehen

Die Parteien sind Internetversandhändler. Am 19.3.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des einen Händlers (Kläger) eine E-Mail an den anderen Händler (Beklagter) mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Die E-Mail enthielt folgenden Text: „Sehr geehrter Herr B, bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen.“ Unterhalb dieses Textes befanden sich die Kontaktdaten des Prozessbevollmächtigten des A. Als Dateianhänge waren der E-Mail zwei PDF-Dateien beigefügt: Eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „2020000067EU12984.pdf“ enthielt ein auf den 19.3.2020 datiertes anwaltliches Abmahnschreiben wegen der im vorliegenden Verfahren verfahrensgegenständlichen lauterkeitsrechtlichen Vorwürfe. Die andere PDF-Datei mit dem Dateinamen „Unterlassungs.pdf“ enthielt den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Am 1.4.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine weitere E-Mail mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“ an den Beklagten. Diese E-Mail enthielt folgenden Text: „Sehr geehrter Herr B, zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 3.4.2020.“

Auf Antrag des Klägers erließ das Landgericht (LG) dann eine einstweilige Verfügung gegen den Beklagten mit einer Kostenentscheidung zu dessen Nachteil. Nach der Zustellung dieser einstweiligen Verfügung an den Beklagten gab dieser eine sog. Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruchs vorbehielt.

Von diesem Vorbehalt hat der Beklagte auch Gebrauch gemacht und Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. Er hat behauptet, er habe von den beiden o. g. E-Mails keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass diese im Spam-Ordner seines E-Mail-Postfachs eingegangen seien, könne dies allerdings nicht mehr überprüfen, weil E-Mails in diesem Ordner bereits nach zehn Tagen wieder gelöscht würden.

Landgericht bestätigt einstweilige Verfügung

Das LG Bochum hat die einstweilige Verfügung bestätigt und dem Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen hat sich der Beklagte mit einer sofortigen Beschwerde zum OLG Hamm gewandt.

Oberlandesgericht gibt Beklagtem Recht

Das OLG gab nun dem Beklagten Recht: Die Kosten des Rechtsstreits sind dem Kläger aufzuerlegen. Denn der Beklagte hat dem Kläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zu dessen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Beklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Klägers nicht reagiert.

Dateianhang: erst nach Öffnen zugestellt

Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.3.2020 ist dem Beklagten nicht zugegangen: Wird wie im vorliegenden Fall ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen.

Eidesstattliche Versicherung überzeugte

Es sei fraglich, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Beklagten (dort möglicherweise im Spam-Ordner) eingegangen sind. Der Beklagte hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des ihm zuvor nicht bekannten Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 9.3.2022, 4 W 119/20


Lieferstopp:

Schadenersatzklage eines Automobilindustrie-Zulieferers abgewiesen

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat jetzt eine Schadenersatzklage eines Automobilzulieferers gegen einen Fahrzeughersteller (Mercedes Benz Group AG) abgewiesen. Der Zulieferer hatte dem Fahrzeughersteller mit einem Lieferstopp gedroht. Das war widerrechtlich. |

Das war geschehen

Der Zulieferer (Kläger) belieferte den Hersteller (Beklagten) seit dem Jahr 2010 mit Kfz-Sitzbezügen, die in Slowenien produziert wurden. Aufgrund gestiegener Kosten hielt der Kläger die Fortsetzung dieser Geschäftsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr für wirtschaftlich und kündigte am 13.12.2013 sämtliche Lieferverträge außerordentlich zum 31.1.2014. Der Beklagte wies die Kündigung zurück.

Nachdem die in der Folgezeit geführten Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, teilte der Kläger am 31.01.2014 mit, dass er ab dem Folgetag bis zu einer vertraglichen Einigung keine Sitzbezüge mehr liefern werde. Hierauf schlossen die Parteien am 4.2.2014 eine Vereinbarung, die u. a. eine Verlagerung der Produktion sowie eine dreijährige Abnahme- und Preisgarantie und eine monatliche Ausgleichszahlung für den Kläger vorsah. Anfang August 2014 focht der Beklagte diese Vereinbarung wegen widerrechtlicher Drohung an und verweigerte in der Folgezeit die Abnahme weiterer Sitzbezüge. Der Kläger hielt die Anfechtung für unwirksam und forderte vom Beklagten Schadenersatz, insbesondere entgangenen Gewinn, in Höhe von rund 40 Mio. Euro.

So entschied das Gericht

Das OLG: Zum Zeitpunkt des angekündigten Lieferstopps habe die ursprüngliche Vertragsbeziehung zwischen den Parteien fortbestanden, da der Kläger diese nicht zum 31.1.2014 habe kündigen können. Bei der Ankündigung des Lieferstopps, der sich massiv auf den Produktionsprozess des Beklagten ausgewirkt hätte, habe es sich daher um eine widerrechtliche Drohung gehandelt. Die unter dem Druck dieser Drohung zustande gekommene Vereinbarung vom 4.2.2014 habe der Beklagte wirksam angefochten, sodass der Kläger aus ihr keine Pflicht zur Abnahme von Sitzbezügen und daher auch keine Schadenersatzansprüche wegen Verletzung dieser Pflicht herleiten könne.

Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen steht dem Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) offen.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 7.4.2022, 2 U 3/21, PM vom 7.4.2022


Wegfall der Geschäftsgrundlage:

Möbelhaus: Gewerbemiete trotz Corona-Schließung?

| Während des Lockdowns Ende 2020 mussten viele Geschäfte schließen. Die Mietverträge liefen trotzdem weiter, obwohl häufig kein Gewinn mehr erwirtschaftet werden konnte. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert: Es gibt ein neues Gesetz, nach dem ein „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ vermutet wird, wenn die gemieteten Räumlichkeiten wegen des Lockdowns nicht oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen verwendet werden können. So steht es im deutschen Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (hier Art. 240 § 7 EGBGB). Hierauf berief sich auch ein Möbelhaus, dem das Landgericht (LG) zunächst Recht gab: Die Miete für die angemietete Lagerhalle könne reduziert werden. Das sah das Oberlandesgericht (OLG) aber anders. |

Das OLG: Es besteht kein Anspruch auf eine Anpassung der Miete. Denn die Lagerhalle sei in der Lockdown-Zeit durchaus nutzbar gewesen. Die Firma habe die Möbel nämlich online vertrieben und auch stationäre Verkäufe über „click & collect“ getätigt. Die Lagerhalle sei in ihrer Funktion durch den Lockdown daher gerade nicht betroffen gewesen. Etwas anderes könne gegebenenfalls für das Ladengeschäft selbst gelten.

Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, weil die Sache grundsätzlich Bedeutung hat und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob die neue Gesetzesregelung auch auf Lagerhallen anzuwenden ist.

Quelle | Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 29.3.2022, 2 U 234/21


Datenschutz:

Wenn ein Bewertungsportal ungefragt ein Basisprofil anlegt

| Ein Arzt, dessen Basisdaten ungefragt vom Bewertungsportal Jameda übernommen wurden, hat keinen Löschungsanspruch nach DS-GVO gegen den Anbieter. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun klargestellt, dass für die Speicherung ein berechtigtes Interesse besteht. |

Der BGH sieht das berechtigte Interesse, das bei jeder Verarbeitung von Daten vorliegen muss, darin, dass das Bewertungsportal Jameda aktiven Nutzern dadurch die von der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ geschützte Abgabe und Verbreitung einer Meinung ermöglicht und passiven Nutzern die Möglichkeit verschafft, davon Kenntnis zu nehmen. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ist zur Verwirklichung der berechtigten Interessen auch „erforderlich“.

Quelle | BGH, Urteil vom 15.2.2022, VI ZR 692/20

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