WEG-Versammlung:
Online-Teilnahme ohne Beschluss und schriftliche Vollmacht
| Die Video-Teilnahme an einer Versammlung ohne Gestattungsbeschluss ist kein Anfechtungsgrund. Die fehlende Vorlage einer Vollmacht bei anderweitiger Information ist unschädlich. So entschied es das Landgericht (LG) München. |
„Hybride“ WEG-Versammlung
In der Wohnungseigentümerversammlung waren einige Wohnungseigentümer und der Verwalter persönlich anwesend, ein weiterer Eigentümer war so der Verwalter „inoffiziell“ per „Video“ zugeschaltet. Die Gemeinschaft hatte keine Online-Teilnahme gestattet. In der Versammlung hörte und sprach der Online-Teilnehmer trotz schlechter Übertragungsqualität mit, nahm aber nicht an der Abstimmung teil, weil er dem Verwalter sein Stimmrecht mündlich übertragen hatte. Beschlossen wurde eine Fassadensanierung für rund 65.000 Euro. Der Beschluss wurde angefochten, u. a. wegen der Online-Teilnahme. Vor dem Amtsgericht (AG) hatte die Klage Erfolg.
Wirksame Stimmabgabe durch den Verwalter
Das LG sah es anders: Die Stimmabgabe durch den Verwalter für den online teilnehmende Miteigentümer sei wirksam gewesen. Die nicht erfolgte Vorlage der Vollmacht im Original in der Eigentümerversammlung sei unschädlich. Zwar bedürfe es nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 25 Abs. 3 WEG) der Textform. Zwischen dem Vorhandensein einer Vollmacht und der Vorlage derselben sei jedoch zu unterscheiden. So könne ein Bevollmächtigter, der seine Vollmachtsurkunde nicht vorlege, gemäß § 174 BGB mit der Folge zurückgewiesen werden, dass er trotz Vorhandensein der Vollmacht von der Vollmacht keinen Gebrauch machen könne.
Es könne dahinstehen, ob nur der Verwalter ein solches Zurückweisungsrecht habe oder jeder Miteigentümer. Gemäß § 174 S. 2 BGB (analog) bestehe kein Zurückweisungsrecht, wenn der Bevollmächtigende die übrigen Wohnungseigentümer über die Vollmachtserteilung anderweitig informiert habe. Dass die Miteigentümerin dem Kläger gegenüber per Videotelefonat die Vollmacht über ihr Handy, wenn auch für den Kläger nicht sichtbar bekundet habe, trage er selber vor. Eine Unwirksamkeit des mit Vollmacht ausgeübten Stimmrechts komme daher nicht in Betracht.
Video-Teilnahme des Eigentümers begründet keinen Beschlussmangel
Der Umstand, dass die Eigentümerversammlung von ihrer Beschlusskompetenz nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG keinen Gebrauch gemacht habe, sei unerheblich. Denn auf die Möglichkeiten der Beschlussanfechtung, die bei der Gestattung einer Online-Teilnahme in Verbindung mit der Frage des Funktionierens der Übertragung und der Ausübung der Teilnahmerechte einhergehe, komme es hier nicht an, da ein solcher Beschluss gerade nicht vorliege.
Kein Verstoß gegen das Teilnahmerecht
Auch sei nicht gegen das Teilnahmerecht verstoßen worden. Die Meinungskundgabe sei Ausfluss des Teilnahmerechts und nicht per se Ausdruck einer Rechtswidrigkeit. Damit die Ausübung des Rederechts einen formellen Mangel begründe, bedürfe es daher eines Verstoßes gegen eine Verfahrensvorschrift. Weder bestehe eine Pflicht des Verwalters, ein über ein Telefon ausgeübtes Rederecht eines Wohnungseigentümers zu unterbinden, noch ohne Weiteres eine Pflicht, ein solches vorbehaltlich einer Beschlussfassung der Eigentümerversammlung zuzulassen.
Vielmehr sei es Aufgabe des Verwalters, unter Berücksichtigung der Interessen der Wohnungseigentümer die Meinungsbildung untereinander zu ermöglichen. Gerade bei einer sehr übersichtlichen Anzahl der anwesenden Wohnungseigentümer sei ein Redebeitrag über eine Internetverbindung gerade bei hinreichender Identifizierung des Wohnungseigentümers und vorbehaltlich entgegenstehender Geschäftsordnungsanträge nicht ausgeschlossen. Vorliegend ergebe sich aus der Anwesenheitsliste, dass neben den Vertretenen, die nicht präsent waren nur zwei Wohnungseigentümer in persona anwesend waren. Der Umstand, dass der (insoweit dritte) Miteigentümer an der Versammlung über das Videotelefonat teilgenommen und Aussagen gemacht habe, begründe damit nicht von vornherein eine fehlerhafte Durchführung der Versammlung.
Quelle | LG München I, Urteil vom 9.8.23, 1 S 16489/2022
Räumungsklage:
Fortsetzung eines Mietverhältnisses unter Berufung auf fehlenden Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin anders als zuvor das AG zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24