Verbraucherrecht Info - 03.2024

4.03.2024
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Grundsicherung:

Sozialwohnung: Jobcenter muss Mietkosten anerkennen

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Bei der Beurteilung der Frage, in welcher Höhe Mietkosten von den Jobcentern zu übernehmen sind, muss ein Vergleich mit den Mieten für Sozialwohnungen erfolgen. Mietpreise, die für nach dem Recht des sozialen Wohnungsbaus geförderte Wohnungen gezahlt werden, könnten nicht als unangemessen angesehen werden. |

Damit hat es der gegen das zuständige Berliner Jobcenter gerichteten Klage einer Empfängerin von Grundsicherungsleistungen („Hartz IV“, jetzt Bürgergeld) insoweit stattgegeben.

Das war geschehen

Es ging um Zeiträume in den Jahren 2015/2016. Die allein lebende Frau verlangte die Übernahme der vollen Kosten für Miete und Heizung in Höhe von damals rund 640 Euro für ihre 90 m² große Dreizimmerwohnung. Die Suche nach einer günstigeren Wohnung im angespannten Berliner Wohnungsmarkt sei aussichtslos gewesen.

Das Jobcenter hatte insgesamt nur rund 480 Euro für angemessenen gehalten. Dabei bezog es sich auf die Ausführungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, die die Grenze der Angemessenheit aus den durchschnittlichen Mietkosten ableitet, wie sie der Mietspiegel für Berlin für einfache Wohnlagen ausweist.

Jobcenter in die Schranken gewiesen

Das LSG hält dieses Vorgehen für unzulässig. Die so berücksichtigten Wohnungen erfassten nur den durchschnittlichen Fall der Angemessenheit, nicht aber deren „obere Grenze“. Zwar könnten Empfänger von Leistungen der Jobcenter auf solche Wohnungen verwiesen werden, die lediglich einfache Bedürfnisse für eine sichere Unterkunft befriedigen. Wohnungen zum noch als angemessen angesehenen Mietpreis müssten jedoch auch tatsächlich für Leistungsberechtigte zur Verfügung stehen.

Berliner Wohnungsmangel

Dies sei hier nicht der Fall und ergebe sich auch aus einer statistischen Auswertung des Wohnraumbedarfsberichts der Senatsverwaltung aus dem Jahr 2019. Demnach habe es in Berlin 76.000 Haushalte (darunter 33.000 Einpersonenhaushalte) gegeben, die Leistungen der Grundsicherung bezogen hätten, deren Mietkosten jedoch über den von den Jobcentern herangezogenen Grenzwerten gelegen hätten. Zugleich weise der genannte Bericht eine massive Angebotslücke von 345.000 Wohnungen allein im Bereich der Wohnungen für Einpersonenhaushalte aus.

Auch Sozialwohnungen unangemessen teuer

In einer solchen Situation könne das Gericht keinen Grenzwert bestimmen. Im vorliegenden Fall lasse sich bei einem Vergleich mit den Mieten für Sozialwohnungen, die gerade für Grundsicherungsempfänger als angemessener Wohnraum bereitgestellt werden sollen, feststellen, dass die Wohnung der Frau noch angemessen gewesen sei. Die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ggf. als Höchstgrenze heranzuziehenden Werte (110 Prozent der Tabelle nach § 12 Wohngeldgesetz) seien für Berliner Verhältnisse ungeeignet, weil danach selbst viele Sozialwohnungen als unangemessen teuer angesehen werden müssten.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.3.2023, L 32 AS 1888/17, PM vom 4.4.2023


Reisepreisminderung:

Reisender muss sich über typische Witterungsbedingungen am Zielort selbst informieren

| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat klargestellt: Ein Reisender muss sich selbst über allgemein zugängliche Quellen über die klimatischen Bedingungen des Reiseziels informieren. Den Reiseveranstalter trifft keine Aufklärungspflicht, da kein sogenanntes Wissensgefälle vorliegt. |

Das war geschehen

Die Klägerin buchte bei der Beklagten für sich und ihren Partner eine exklusive Ecuador-Privatrundreise für Mitte bis Ende Dezember 2021 für rund 18.000 Euro. Wegen zahlreicher behaupteter Mängel u.a. witterungsbedingter Beeinträchtigungen, eines ausgefallenen Ausflugs und Lärmbelästigungen verlangt sie nun Minderung des Reisepreises in Höhe von gut 6.000 Euro von der Beklagten. Das Landgericht (LG) hatte der Klage in Höhe von gut 800 Euro u.a. wegen eines ausgefallenen Ausflugs und der erlittenen Lärmbelästigungen stattgegeben und Ansprüche wegen witterungsbedingter Beeinträchtigungen abgewiesen.

So entschieden die Instanzen

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Das LG hatte zu Recht Ansprüche wegen witterungsbedingter Sichtbeeinträchtigungen auf ihrer Ecuadorreise verneint, betonte das OLG. Der Veranstalter einer Reise hafte grundsätzlich nicht für „die im Zielgebiet herrschenden Wetterverhältnisse und klimatischen Gegebenheiten“.

Übliche Witterung im Dezember

Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin vor Abschluss des Reisevertrags über die im Reisemonat Dezember in Ecuador üblicherweise zu erwartenden Witterungsbeeinträchtigungen aufzuklären und auf Regenzeiten hinzuweisen. Eine gesteigerte Informationspflicht eines Reiseveranstalters bestehe nur hinsichtlich der Umstände, bei denen der Reisende über ein Informationsdefizit verfügt. Vorliegend habe sich die Klägerin indes ohne Weiteres über das Internet über die klimatischen Besonderheiten am Urlaubsort informieren können. Das Internet biete dem Reisenden umfangreiche, aktuelle und unentgeltliche Informationen unabhängig vom typischerweise erst nach der Entscheidung für ein Zielgebiet erfolgten Erwerb eines Reiseführers. Bereits bei einer einfachen Recherche im Internet sei ersichtlich, dass der Monat Dezember sowohl im Andenhochland als auch im Amazonasgebiet als regenreich gelte und damit Sichtbeeinträchtigungen aufgrund von Regen und Nebel allgemein zu erwarten gewesen seien. Hier habe sich damit ein allgemeines Umwelt- bzw. Umfeldrisiko verwirklicht.

Auch hoher Preis rechtfertigt keine besondere Beratungspflicht

Der Umstand, dass es sich um eine recht hochpreisige Reise gehandelt habe, führe nicht zu einer besonderen Beratungspflicht. Maßgeblich für den Reisepreis sei vielmehr die Ausgestaltung als exklusive Privatreise mit Gabelflug gewesen.

Soweit den Reiseveranstalter eine Hinweispflicht treffen könne, wenn sich für die Reisezeit eine atypische, unvorhergesehene Wetterlage abzeichne, mache die Klägerin diese Voraussetzungen hier nicht geltend.

Die Reisebeschreibung enthalte schließlich auch keinerlei Aussagen zur Umgebung, Landschaft oder Tierwelt, die die Klägerin witterungsbedingt nicht wahrzunehmen vermocht habe.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 13.6.2023 sowie Beschluss vom 28.8.2023, 16 U 54/23, PM 55/23


Haftung:

Private Bergtour: Ersatzansprüche gegen Reiseführer Frage des Einzelfalls

| Eine rein private gemeinsame Freizeitveranstaltung, z. B. eine privat durchgeführte gemeinsame Bergtour, ist für sich genommen nicht geeignet, eine vertragliche Haftung zu begründen. So sieht es das Landgericht (LG) München. |

Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass sich zwei befreundete Wanderer auf eine gemeinsame Tour begeben hatten. Der erfahrenere Wanderer führte beide. Sie kamen dann in eine Situation, in der der unerfahrene Wanderer nur noch mit einem Hubschrauber befreit werden konnte. Die Kosten für den befreienden Transport betrugen 8.500 Euro.

Den Erstattungsanspruch gegen den erfahrenen und führenden Wanderer verneinte das LG. Es habe sich nur um eine alltägliche Gefälligkeit gehandelt, bei der erkennbar kein Haftungswille bestehe. Es habe sich um eine Gefahrengemeinschaft gehandelt. Der erfahrene Wanderer habe hierbei keine Gefahrenverantwortung übernommen. Eine Haftungsübernahmeerklärung lag insoweit nicht vor.

Quelle | LG München I, Urteil vom 24.10.2023, 27 O 3674/23, Abruf-Nr. 238294 unter www.iww.de


Krankengeldanspruch:

Krankenkasse darf bei unverschuldet verspäteter Verlängerung der Krankschreibung Leistung nicht verweigern

| Erhält ein Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden erst kurz nach Ablauf einer Krankschreibung eine Verlängerung, hat er weiterhin einen Anspruch auf Krankengeld von seiner Krankenkasse. So sieht es das Bundessozialgericht (BSG). |

Das war geschehen

Die Arbeitnehmerin bezog fortlaufend und über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses zum 30.4.18 hinaus Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit, zuletzt ärztlich festgestellt bis voraussichtlich Sonntag, 17.6.18. Zu einer Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit durch wie zuvor ihren Hausarzt am 18.6.18 kam es nicht. Die Arbeitnehmerin suchte ohne vorherige Terminvereinbarung an diesem Tag die Arztpraxis auf und erhielt wegen hohen Patientenaufkommens einen Termin für den 20.6.18, an dem die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wurde. Die Zahlung von weiterem Krankengeld ab dem 18.6.18 lehnte die Krankenkasse (Beklagte) ab, weil die Fortdauer von Arbeitsunfähigkeit nicht am 18.6., sondern erst am 20.6.18 ärztlich festgestellt worden sei.

Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Krankenkasse unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide, der Arbeitnehmerin im streitigen Zeitraum Krankengeld zu gewähren. Es stellte fest, dass die Mitgliedschaft der Arbeitnehmerin bei der Krankenkasse fortbestehe. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Krankenkasse zurück.

So sieht es das Bundessozialgericht

Die Revision der Krankenkasse vor dem (BSG) war erfolglos. Die Vorinstanzen entschieden zutreffend, dass die Mitgliedschaft der Arbeitnehmerin bei der Krankenkasse über den 17.6.18 hinaus erhalten geblieben sei. Sie könne weiteres Krankengeld bis zum 11.9.18 beanspruchen.

Zwar sei keine erneute ärztliche Arbeitsunfähigkeit(AU)-Feststellung am 18.6.18, sondern erst am 20.6.18 erfolgt. Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere Bewilligung von Krankengeld nötigen AU-Feststellung habe damit an sich die nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhaltene Pflichtmitgliedschaft und den Krankenversicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld ab dem 18.6.18 beendet. Grundsätzlich müsse der Versicherte dafür sorgen, dass eine rechtzeitige ärztliche AU-Feststellung erfolge. Insoweit seien in der BSG-Rechtsprechung aber enge Ausnahmen anerkannt worden, bei deren Vorliegen der Versicherte so zu behandeln sei, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der AU erhalten.

Bemühen des Patienten muss rechtzeitig erfolgen

Einem „rechtzeitig“ erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit stehe es danach gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan habe. Er müsse rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden beziehungsweise -erhaltenden zeitlichen Grenzen versuchen, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten. Dies gelte auch, wenn es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus den dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen sei. Ob dem so ist, erfordere eine wertende Betrachtung der Risiko- und Verantwortungsbereiche des Versicherten, des Arztes und der Krankenkasse. In diese würden verfassungsrechtliche Vorgaben mit einfließen.

Mit dem persönlichen Aufsuchen in der Praxis am 18.6.18 habe die Arbeitnehmerin rechtzeitig versucht, eine ärztliche Feststellung von AU wegen derselben Krankheit zu erlangen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht darauf vertrauen durfte, noch am 18.6.18 eine ärztliche AU-Folgefeststellung zu erhalten, habe das LSG nicht festgestellt und seien auch für das BSG nicht ersichtlich. Dass es nicht an diesem Tag zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gekommen sei, sei maßgeblich nicht der Arbeitnehmerin zuzurechnen, sondern dem Vertragsarzt und der Krankenkasse. Denn das vom Vertragsarzt angeleitete Praxispersonal habe ihr trotz Schilderung ihres Anliegens wegen hohen Patientenaufkommens einen Termin erst für den 20.6.18 gegeben, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt worden sei.

Patient darf Arztpraxis ohne Termin am ersten Tag nach AU-Ende aufsuchen

Fazit: Der Anspruch auf weiteres Krankengeld bleibt also durch rechtzeitiges Tätigwerden durch den Arbeitnehmer auch bestehen, wenn er ohne zuvor vereinbarten Termin am ersten Tag nach Ablauf einer zuvor festgestellten Arbeitsunfähigkeit die Arztpraxis zur normalen Öffnungszeit persönlich aufsucht, um wegen derselben Krankheit eine Arbeitsunfähigkeits-Folgefeststellung zu erlangen.

Quelle | BSG, Urteil vom 21.9.2023, B 3 KR 11/22 R, Abruf-Nr. 238435 unter www.iww.de

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