Verbraucherrecht Info - 10.2022

1.10.2022
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Geschlechtszugehörigkeit:

Deutsche Bahn: Keine Diskriminierung nicht-binärer Personen

| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertriebstochter des größten deutschen Bahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 1.1.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit zu diskriminieren, indem diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. |

Das war geschehen

Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei.

Landgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigung nein

Das Landgericht (LG) hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben, Entschädigungsansprüche allerdings abgewiesen.

Oberlandesgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigungsanspruch ja

Nun hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn nicht-binäre Personen gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich vor allem auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die Frist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung nötigen Aufwand bemessen.

Umstellung ohne Übergangsfrist technisch möglich

Keine Umstellungsfrist hat das OLG gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf das Ausstellen von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen.

Benachteiligungsverbot: 1.000 Euro Entschädigung

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Denn die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zugunsten der Bahn sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuellen Benachteiligungshandlungen erfolgt seien.

IT-Systeme sind umzustellen

Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, die selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person so etwa hinsichtlich der BahnCard nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 92/20, PM 50/22 vom 21.6.2022


Unfallversicherungsschutz:

Psychische Folgen eines Unfalls

| Nach den Allgemeinen Bedingungen der Unfallversicherung (AUB 2008) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn sie Unfallfolgen sind. Für diesen Leistungsausschluss ist es unerheblich, ob sich die psychischen Reaktionen als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung darstellen, hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden und Ansprüche wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Armverletzung zurückgewiesen. |

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert (Invaliditätsgrundsumme: 25.000 Euro). Einbezogen wurden die AUB 2008. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch den Unfall verursacht wurden“.

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen wegen unfallbedingter Invalidität geltend. Er beruft sich auf einen Unfall, bei dem er seinen rechten Ellenbogen an einem Heizkörper angestoßen habe mit einer anschließenden großflächigen Infektion des betroffenen Arms. Durch die Armverletzung sei es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Die Beklagte verweist auf ihren Leistungsausschluss für psychische Reaktionen.

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte wegen festgestellter Dauerfolgen am Arm zur Zahlung von 12.500 Euro verurteilt und Ansprüche wegen krankhafter Veränderungen der Psyche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde wegen des vereinbarten Leistungsausschlusses für psychische Reaktionen keine weitere Invaliditätsleistung zu. Auch nach den Behauptungen des Klägers habe nicht der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierende Entzündungsreaktion unmittelbar zu einer Veränderung der Hirnstruktur geführt. Er berufe sich vielmehr selbst auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Funktionseinschränkungen am Arm.

Ob diese psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen nachvollziehbar sei, könne offenbleiben. Der Ausschlusstatbestand erfasse nicht nur „Fehlverarbeitungen“. Es bestehe vielmehr schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers „rein psychisch-reaktiver Natur ist“, wie hier. Der Ausschluss knüpfe an objektiv fassbare Vorgänge an. Es sei mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar, auf das Kriterium der „medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses auf eine Ursachenbetrachtung abziele, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. Nach der Klausel seien jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Nichtzulassungsverfahren läuft vor dem Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen IV ZR 302/22.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.7.2022, 7 U 88/21, PM 74/22


Nachbarrecht:

Schuldrechtliches Wegerecht ist nicht kündbar

| Bei einem zugunsten von Bewohnern eines Nachbargrundstücks schuldrechtlich begründeten Wegerecht darf dieses nicht gekündigt und ohne Zustimmung der Nachbarn nicht aufgehoben werden. So entschied es nun das Landgericht (LG) Aachen. |

Wegerecht vereinbart

Immobilienkäufer vereinbarten mit den Verkäufern ein Wegerecht zugunsten der Nachbarn. Die Käufer verpflichteten sich, einen neben dem Haus und über den Hof verlaufenden Weg weiter zu dulden, offenzuhalten, zu unterhalten und die Benutzung durch die jeweiligen Bewohner der benachbarten Mittelwohnung zu gestatten und diese Pflicht an Rechtsnachfolger zu übergeben. Eine einseitige Beendigung durch die Käufer war ausgeschlossen. Die Käufer kündigten später das Wegerecht und verlangten Herausgabe des Gartentorschlüssels sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, den Zugang zu ihrem Grundstück für die Nachbarn zu erhalten.

Amtsgericht: Kündigung unwirksam

Vor dem Amtsgericht (AG) hatten die Käufer keinen Erfolg. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Wegerecht ist durch den Kaufvertrag als echter Vertrag zugunsten der Nachbarn wirksam eingeräumt worden. Dass ein eigenes Leistungsrecht und somit ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, war dem Vertragszweck zu entnehmen. Der Zustand, dass die beklagten Nachbarn ihren Garten auch über das Grundstück der Käufer verlassen konnten, sollte aufrechterhalten und auch an Rechtsnachfolger weitergegeben werden. Damit sollten die Nachbarn begünstigt und berechtigt werden, das schuldrechtlich begründete Wegerecht durchzusetzen.

Der o. g. Kündigungsausschluss sei auch wirksam, so das LG. Denn § 544 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nicht anwendbar. Vorliegend sei nämlich kein Mietvertrag über 30 Jahre gegeben, sondern ein Leihvertrag. Dieser kennt keine Bindungsgrenze. Selbst, wenn § 544 BGB mittelbar anzuwenden sei, wäre der Bindungszeitraum (30 Jahre) hier noch nicht abgelaufen.

Quelle | LG Aachen, Urteil vom 5.8.2021, 3 S 2/21


Tetanusimpfung:

Impfreaktion ist kein Impfschaden

| Die Anerkennung eines Impfschadens setzt voraus, dass eine Impfreaktion grundsätzlich ärztlich dokumentiert wird, diese über eine bloße übliche Nebenwirkung des verwendeten Impfstoffes hinausgeht und es letztlich zu einer Funktionsstörung kommt. So entschied es jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. |

Das war geschehen

Die Klägerin stürzte im Dezember 2015 und zog sich dabei eine Wunde an der rechten Hand und eine Prellung am Knie zu. Noch am selben Tag wurde sie mit einem Kombinationswirkstoff gegen Tetanus und Diphtherie geimpft. In der Folge bildete sich an der Einstichstelle auf der linken Schulter ein Granolom (körnchenförmige Gewebeneubildung).

Heilbehandlung wurde gewährt

Mit Bescheid vom Juni 2017 erkannte das Land Baden-Württemberg als Folge einer Impfschädigung eine etwa 7×6 cm große, leicht verhärtete druckschmerzhafte Fläche im Bereich des Schultermuskels und innerhalb dieser eine etwa 1,5 cm große rot-bläulich verfärbte Verhärtung an. Die Gewährung einer Beschädigtengrundrente wurde abgelehnt, da der Grad der Schädigung nur 10 betrage. Heilbehandlung werde aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen gewährt.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) machte die Klägerin geltend, sie leide an attackenartigem, schmerzhaftem Stechen und Brennen im linken Arm bis zum Unterarm. Sie könne sich nicht länger auf ihren linken Arm stützen oder den Arm hängen lassen. Ihre frühere Tätigkeit als Reinigungskraft könne sie aufgrund dessen nicht mehr ausüben. Ihr sei daher eine Beschädigtengrundrente zu gewähren.

Sozialgericht: Land muss Impfschaden anerkennen

Mit Gerichtsbescheid vom Dezember 2020 hat das SG das beklagte Land verpflichtet, als weitere Folge des bereits festgestellten Impfschadens eine Reizsymptomatik von Hautästen des linken Speichennervs anzuerkennen.

Landessozialgericht: Urteil aufgehoben

Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zu Unrecht habe der Beklagte einen Impfschaden festgestellt, sodass die Klägerin schon deshalb die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen nicht beanspruchen könne. Aufgrund der Impfung sei nur eine typische Nebenwirkung eingetreten, hier das bei der Klägerin aufgetretene Impfgranulom. Der erforderliche Nachweis einer gesundheitlichen Schädigung sei nicht erbracht, weil keine über die übliche Impfreaktion hinausgehende Impfkomplikation vorliege.

Ärztliche Dokumentation lag nicht vor

Die von der Klägerin darüber hinaus beschriebenen, angeblich nach der Impfung eingetretenen gesundheitlichen Veränderungen seien in keiner Weise ärztlich dokumentiert. Vielmehr habe bei der Klägerin bereits vor der streitigen Impfung eine ängstlich-depressive Symptomatik mit Ausbildung von Konversionssymptomen bestanden. Wesentliche Ursache dafür seien die erheblichen familiären und sozialen Probleme der Klägerin mit langjähriger psychosozialer Belastung und chronischer Überforderung bei Alkoholkrankheit des Ehemanns der Klägerin. Die Schmerzsymptomatik könne ebenfalls nicht auf die Impfung zurückgeführt werden, nachdem ein halbes Jahr nach der Impfung noch keine dauerhafte Schmerzmedikation erforderlich gewesen sei.

Im Übrigen seien bereits in der Vergangenheit orthopädisch Kopf- und Nackenschmerzen mit Ausstrahlungen in beide Schultergürtel beschrieben worden.

Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.4.2022, L 6 VJ 254/21, PM vom 20.6.2022

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