Strafbarer Verkehrsverstoß:
Wann ist das Merkmal „verbotenes Kraftfahrzeugrennen“ erfüllt?
| Das Kammergericht (KG) Berlin hat sich in zwei aktuellen Entscheidungen mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen befasst. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob eine nur kurze Fahrstrecke bereits das Vorliegen eines „Rennens“ ausschließt. |
„Rennen“ auch bei nur geringer Distanz?
In dem einen Beschluss (vom 18.5.2022) wies das KG darauf hin, dass ein sog. Kraftfahrzeugrennen auch bei einer nur kurzen Renndistanz gegeben sein kann. Gerade die Ermittlung und der Abgleich der für Fahrer hochmotorisierter Fahrzeuge oft wichtigen Beschleunigungspotenziale erfordere keine langen Wegstrecken. Deshalb stehe auch eine mit 50 Meter recht kurze Renndistanz einer Würdigung des Geschehens als Kraftfahrzeugrennen nicht entgegen.
Einzelrennen: nicht angepasste Geschwindigkeit
Gegenstand des anderen Beschlusses (vom 29.4.2022) war ein sog. Einzelrennen. Das KG bekräftigt darin die Auffassung, wonach für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne des Strafgesetzbuchs (hier: § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) auszugehen ist, entscheidend ist, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann. Dabei stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz dar. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit sei ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richte sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs.
Quelle | KG Berlin, Beschluss vom 18.5.2022, 3 Ss 16/22, Abruf-Nr. 230208 unter www.iww.de; Beschluss vom 29.4.2022, (2) 161 Ss 51/22 (15/22), Abruf-Nr. 230209 unter www.iww.de
Schadenersatz:
Unfall mit Baumstumpf – wer zahlt?
| Die öffentliche Hand muss dafür sorgen, dass auf Freiflächen, die wie Parkplätze aussehen, keine Baumstümpfe stehen, die Autos beschädigen können. Das Landgericht (LG) Köln entschied nun, dass die Klägerin von der beklagten Stadt teilweise Schadenersatz für ihren beschädigten Pkw erhält. |
Das war geschehen
Die Klägerin wollte ihren Pkw nach Einbruch der Dunkelheit in Köln Mülheim auf einem unbefestigten, nicht gepflasterten Streifen von ca. 1,5 qm neben der Straße parken. Hinter der Freifläche, auf der früher Bäume standen, verlief ein gepflasterter Gehweg. Rechts und links davon war alles asphaltiert. Andere Pkw hatten dort geparkt. Ein Schild wies auf die Parkmöglichkeit in diesem Bereich während des Wochenmarktes hin. Bei der regelmäßigen Begehung der Fläche, zuletzt am Vortag des Unfalls der Klägerin, fielen keine Verschmutzungen oder Laubbedeckungen auf. Mittlerweile ist der Platz umgestaltet und erneuert worden. Die Klägerin behauptet, mit ihrem Pkw auf einen 20 bis 25 cm hohen Baumstumpf aufgefahren zu sein, der auf der unbefestigten Freifläche gestanden habe. Ihr sei dadurch ein Schaden von über 3.000 Euro netto entstanden.
Hälftiger Schadenersatz
Das LG sprach der Klägerin nur die Hälfte des geltend gemachten Schadenersatzes zu. Grund: Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, indem sie den Baumstumpf auf der Freifläche, die sich neben den asphaltierten Parkflächen befand, nicht so entfernt hat, dass ein Fahrzeug beim Abstellen nicht beschädigt wird. Diese Pflicht habe die Beklagte getroffen, weil sie damit rechnen musste, dass Verkehrsteilnehmer diese Freifläche für einen Parkplatz halten konnten. Die Beklagte war auch für die Freifläche als Trägerin der Straßenbaulast für Gemeindestraßen zuständig. Zur öffentlichen Straße gehören dabei auch befestigte Seitenstreifen, Parkplätze und Parkflächen. Dadurch, dass die Beklagte den Baumstumpf auf der von der Klägerin benannten Freifläche weder vollständig entfernt hatte, noch kenntlich machte oder ein Befahren der Fläche verhinderte, verletzte sie auch die ihr obliegende Amtspflicht.
Unfallhergang plausibel
Die Kammer war davon überzeugt, dass sich der Unfall so abgespielt hat, wie die Klägerin dies geschildert hat. Zwei Beifahrerinnen haben als Zeuginnen ausgesagt und die Angaben der Klägerin bestätigt. Der Beklagten war es auch zuzumuten, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Dass dieser Baumstumpf eine Gefahrenquelle darstellt, hätte bei einer regelmäßigen Kontrolle auffallen müssen.
Nach Einbruch der Dunkelheit ist besondere Sorgfalt gefordert
Aber: Die Klägerin treffe ein Mitverschulden von 50 Prozent. Sie hätte bei den schlechten Sichtverhältnissen nach Einbruch der Dunkelheit besser auf eventuelle Hindernisse achten müssen.
Quelle | LG Köln, Urteil vom 24.11.2022, 5 O 94/22
Schadenersatz:
Eigener Gutachter versus Versicherungsgutachter
| Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen sogar, wenn der Schädiger bereits einen eigenen Sachverständigen beauftragt hatte. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. |
Liegt zu dem Zeitpunkt, in dem der Geschädigte ein Gutachten einholt, bereits ein Gutachten des Schädigers vor, darf der Geschädigte aufgrund des Grundsatzes der Waffengleichheit das Einholen eines eigenen Gutachtens für erforderlich halten. Dies gilt selbst dann, wenn keine Zweifel an der Objektivität oder Richtigkeit des Erstgutachtens bestehen.
Grund dafür ist die Schutzwürdigkeit des Geschädigten nach einem konkreten Schadensfall. Um sich vor einem hypothetischen Szenario schützen zu können, in dem der Haftpflichtversicherer des Schädigers von der Werkstatt in Rechnung gestellte Instandsetzungskosten als nicht unfallbedingt oder überhöht zu bezahlen ablehnt, muss der Geschädigte die Möglichkeit haben, diese Kosten substanziiert und beweiskräftig gerichtlich einzuklagen.
Quelle | AG Berlin Mitte, Urteil vom 2.9.2022, 104 C 40/22 V, Abruf-Nr. 231373 unter www.iww.de
Bußgeldkatalog:
Rotlichtverstoß mit einem SUV allein rechtfertigt noch kein erhöhtes Bußgeld
| Bei der Bemessung einer Geldbuße darf von dem im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelfall nur abgewichen werden, wenn auch der betreffende Einzelfall deutlich vom Normalfall abweicht. Nicht ausreichend ist der pauschale Verweis, dass der Pkw-Fahrer bei seinem Rotlichtverstoß einen SUV fuhr. Da er in einem aktuellen Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt jedoch eine gravierende Vorbelastung hatte, hat das Gericht die den Regelsatz übersteigende Geldbuße in Höhe von 350 Euro sowie das verhängte einmonatige Fahrverbot als gerechtfertigt anerkannt. |
Das war geschehen
Das Amtsgericht (AG) hatte den Mann wegen eines Rotlichtverstoßes zu der o. g. Geldbuße und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Dabei hatte es die vom Bußgeldkatalog neben dem Fahrverbot vorgesehene Regelbuße von 200 Euro auf 350 Euro erhöht. Zur Begründung hatte es auf die vorhandene Vorbelastung sowie die „größere abstrakte Gefährdung durch das geführte Kraftfahrzeug“ verwiesen. Die kastenförmige Bauweise und erhöhte Frontpartie erhöhten „bei einem SUV das Verletzungsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer“.
Merkmal „SUV“ rechtfertigt allein keine Erhöhung der Regelbuße
Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg, obwohl das OLG klarstellte, dass die Argumentation des AG keine Erhöhung der Regelbuße rechtfertige. Der Bußgeldkatalog diene der gleichmäßigen Behandlung sehr häufig vorkommender, wesentlich gleich gelagerter Sachverhalte, betonte das OLG. Er solle eine Schematisierung herbeiführen, sodass „besondere Umstände des Einzelfalls zurücktreten“. Nur ein deutliches Abweichen vom Normalfall rechtfertige deshalb eine Abweichung vom Bußgeldkatalog. Die Feststellung solcher außergewöhnlichen Umstände bedürfe einer „über die Benennung eines diffusen Fahrzeugtyps oder Modells hinausgehender Betrachtung des Einzelfalls“. Die vom AG erwähnte „größere“ abstrakte Gefährdung bzw. „erhöhte“ Verletzungsgefahr erfülle nicht die Anforderungen an derartige Feststellungen. Es fehle an der erforderlichen Einzelfallbetrachtung, soweit sich die Zumessungserwägungen auf einen „noch nicht einmal trennscharf bestimmbaren Fahrzeugtyp“ ohne nähere Definition beschränkten. Jedenfalls wären „die wesentlichen gefährdungsrelevanten Charakteristika“ zu ergründen gewesen. Da die Gruppe der „SUV“ sehr heterogen sei, erscheine zudem ein Schluss von der Gruppenzugehörigkeit auf gefahrrelevante Umstände nicht möglich. Schließlich, so das OLG, sei die vom AG angenommene erhöhte Verletzungsgefahr nicht allgemeinkundig, sondern Gegenstand von Untersuchungen mit diametralen Ergebnissen.
Vorbelastung des Pkw-Fahrers führt zu Abweichen von Normalfall
Die verhängte Geldbuße sei aber im Ergebnis wegen der gravierenden Vorbelastung des Pkw-Fahrers gerechtfertigt. Die Regelbuße beziehe sich auf einen nicht vorgeahndeten Fahrer. Vorliegend habe der Mann 13 Monate vor der hier zu beurteilenden Ahndung bereits einen Rotlichtverstoß begangen. „Diese Vorahndung führt in der Gesamtschau des vorliegenden Einzelfalls dazu, dass ein deutliches Abweichen von dem im Katalog geregelten Normalfall festzustellen ist“, betont das OLG.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.9.2022, 3 Ss-OWi 1048/22, PM 79/22