Verbraucherrecht Info - 09.2023

2.09.2023
|
Verkehrssicherungspflicht:

Erkennbare Unebenheiten im Außenbereich der Terrasse einer Gaststätte

| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt bestätigt, dass der Besucher einer im Außenbereich einer Gaststätte liegenden Terrasse, deren Belag einen rustikalen, mediterranen Eindruck vermittelt, nicht mit einer vollständig ebenen Fläche rechnen kann. Der Gastwirt sei nicht verpflichtet, einen gänzlich gefahrfreien Zustand der Terrasse herzustellen. Gäste müssten ihren Gang den erkennbaren Bedingungen der Örtlichkeiten anpassen. |

Sturz beim Gaststättenbesuch

Der Kläger besuchte am frühen Abend im Sommer 2021 an einem sonnigen und hellen Tag mit seiner Lebensgefährtin die Gaststätte des Beklagten. Diese verfügt über eine Terrasse im Außenbereich, die mit Natursteinen im Polygonalverfahren belegt ist. In den Zwischenräumen der Steine befindet sich Beton. Der Steinbelag weist Unebenheiten und Fugen auf.

Nachdem der Kläger seine Bestellung aufgegeben und die Toilette aufgesucht hatte, stürzte er auf dem Rückweg von der Toilette zu seinem Tisch und verletzte sich. Er nimmt den Beklagten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch und behauptet, sich beim Sturz u.a. sechs Zähne ausgeschlagen zu haben.

Klage ohne Erfolg

Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne sich nicht auf Schadenersatzansprüche berufen, bestätigte das OLG. Es sei bereits nicht konkret vorgetragen, aus welchen Gründen der Kläger gefallen sei. Die vom Kläger betonte grundsätzlich Fehleranfälligkeit des menschlichen Ganges, der seinen Angaben nach zu den unsichersten Fortbewegungsvorgängen unter Lebewesen gehöre, falle nicht dem Beklagten zur Last. Der Kläger habe auch keine konkreten Angaben zur Ursache des Sturzes gemacht. Insbesondere habe er weder die konkrete Örtlichkeit des Unfalls noch die Ausgestaltung des dort befindlichen Bodenbelags dargelegt.

Gäste müssen sich den örtlichen Verhältnissen anpassen

Der Beklagte habe grundsätzlich nur die Vorkehrungen treffen zu müssen, die nach den berechtigten Sicherheitserwartungen der Besucher zur Abwehr von Gefahren erforderlich gewesen seien. Diesen Anforderungen habe der Beklagte hier genügt. Er sei nicht verpflichtet gewesen, „einen schlechthin gefahrenfreien Zustand der Terrassenfläche herzustellen“, sondern habe nur solchen Gefahren entgegenwirken müssen, auf die sich der Benutzer nicht einzustellen vermag. Dabei könne grundsätzlich von den Gästen verlangt werden, dass sie sich den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Verkehrsfläche so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbiete. Das Erscheinungsbild der Terrasse habe hier den Nutzern unmittelbar verdeutlicht, dass sie beim Begehen der Fläche nicht auf ein sämtliche Unebenheiten nivellierendes Geländes stoßen. Der Gang sei damit den Örtlichkeiten anzupassen gewesen.

Soweit ein Gastwirt zwar auch damit rechnen müsse, dass seine Gäste wegen des Genusses von alkoholischen Getränken oder sonstiger Umstände in ihrer Gehsicherheit beeinträchtigt sein könnten, sei weder dargetan, dass der Belag bei verminderter Aufmerksamkeit kein gefahrloses Begehen ermöglichte, noch, dass der Kläger in seiner Gefahrenkognition vermindert gewesen sei.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 6.7.2023 und Beschluss vom 18.7.2023, 11 U 33/23, PM 48/23


Corona-Pandemie:

Vergütungsansprüche einer Hochzeits-Fotografin nach Verlegung des Hochzeitstermins

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt über einen typischen „Corona-Fall“ entschieden. Es ging um ein Paar, das die Rückgewähr einer an eine Hochzeits-Fotografin geleisteten Anzahlung verlangte. Darüber hinaus begehrte es festzustellen, dass der Fotografin keine weiteren Vergütungsansprüche zustehen, weil das Paar wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie den Hochzeitstermin verlegen musste und deshalb vom Vertrag zurücktrat bzw. diesen kündigte. |

Das war geschehen

Die Kläger beabsichtigten, am 1.8.2020 kirchlich zu heiraten. Nachdem der Fotograf, der die standesamtliche Trauung begleitet hatte, zu diesem Termin verhindert war, wandten sich die Kläger an die Beklagte. Mit Schreiben vom 28.10.2019 bedankte sich die Beklagte für „die Beauftragung“ und stellte für „Reportage Hochzeit 01.08.2020 (1. Teilbetrag)“ 1.231,70 Euro von der insgesamt vereinbarten Vergütung in Höhe von 2.463,70 Euro in Rechnung. Die Kläger überwiesen den geforderten „1. Teilbetrag“.

Die Kläger beabsichtigten, zu ihrer kirchlichen Hochzeit 104 Gäste einzuladen. Die so geplante Hochzeit durchzuführen, war aufgrund von Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie nicht möglich. Die Kläger planten deshalb neu eine Hochzeitsfeier für den 31.7.2021 und teilten der Beklagten mit E-Mail vom 15.6.2020 mit, für den neuen Termin den Fotografen beauftragen zu wollen, der am 1.8.2020 verhindert gewesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte ein weiteres Honorar von 551,45 Euro, was die Kläger ablehnten. Diese verlangten vielmehr, die bereits überwiesenen 1.231,70 Euro zurückzuzahlen und erklärten wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage den „Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung“.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, die Beklagte zu verurteilen, 1.231,70 Euro und zusätzliche 309,40 Euro für außergerichtliche Kosten zu zahlen sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, weitere 551,45 Euro an die Beklagte zu zahlen.

Klage blieb in allen gerichtlichen Instanzen ohne Erfolg

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Der BGH hat die Revision jedoch zurückgewiesen.

Der BGH: Das Berufungsgericht hat zu Recht die Ansprüche der Kläger auf Rückgewähr der Anzahlung und Feststellung, eine weitere Vergütung von 551,45 Euro nicht zu schulden, verneint.

Ein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung folgt nicht daraus, dass der Beklagten die von ihr geschuldete Leistung unmöglich geworden ist. Denn ihr war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden pandemiebedingten landesrechtlichen Vorgaben möglich, fotografische Leistungen für eine kirchliche Hochzeit und eine Hochzeitsfeier zu erbringen. Das betreffende Landesrecht erlaubte kirchliche Hochzeiten und Hochzeitsfeiern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten. Soweit die Kläger die Hochzeit und die Hochzeitsfeier wegen der nicht einzuhaltenden Abstände von mindestens 1,5 Metern nicht im geplanten Umfang (104 Gäste) durchführen konnten, führt das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Kein Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Der Rückzahlungsanspruch folgt des Weiteren nicht aus einem Rücktrittsrecht der Kläger wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat, ergibt, dass die pandemiebedingte Verlegung der für den 1.8.2020 geplanten Hochzeit und der Hochzeitsfeier keinen Umstand darstellt, der die Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Umstand, dass die Kläger nach Absage des vereinbarten Termins nur aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten liegen, einen anderen Fotografen bevorzugten, ist nach Treu und Glauben unter redlichen Vertragspartnern unerheblich und deshalb im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen.

Hier lag eine freie Kündigung des Vertrags vor

Den von den Klägern erklärten „Rücktritt“ bzw. die „Kündigung“ des Vertrags hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als freie Kündigung des Vertrags (§ 648 S. 1 BGB) ausgelegt und darauf aufbauend einen Vergütungsanspruch der Beklagten gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (hier: § 648 S. 2 BGB) in Höhe von 2.099 Euro festgestellt. Dementsprechend besteht nicht nur kein Rückzahlungsanspruch der Kläger in Höhe von 1.231,70 Euro, sondern ist auch die negative Feststellungsklage der Kläger unbegründet. Deshalb können die Kläger schließlich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht verlangen.

Quelle | BGH, Urteil vom 27.4.2023, VII ZR 144/22, PM 73/23


Schadenersatzforderung:

Beschneidungsdepression: Krankenkasse muss kein neues Gutachten einholen

| Bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen aus ärztlichen Behandlungsfehlern sollen die Krankenkassen ihre Versicherten unterstützen. In einer aktuellen Entscheidung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen die Grenzen dieses Anspruchs aufgezeigt. |

Nach Beschneidung Depressionen

Geklagt hatte ein 57-jähriger Mann, bei dem 2019 eine Beschneidung aufgrund einer Phimose (dt. Vorhautverengung) durchgeführt wurde. Seit dem Eingriff leidet er an Impotenz und Schmerzen, die zu Depressionen geführt haben. Seine behandelnde Therapeutin diagnostizierte bei ihm eine „Anpassungsstörung nach Penisoperation“.

Behandlungsfehler?

Der Mann vermutete einen Behandlungsfehler und bat seine Krankenkasse um Unterstützung. Sein Ziel sei ein funktionsfähiges und schmerzfreies Geschlechtsteil, notfalls durch Transplantation einer Ersatzvorhaut. Zudem wolle er Schmerzensgeld verlangen, denn er sei nicht hinreichend über die Operation aufgeklärt worden.

Begutachtung durchgeführt

Die Krankenkasse beauftragte den Medizinischen Dienst (MD) mit der Begutachtung, der jedoch zu dem Ergebnis gelangte, dass eine Beschneidung nicht geeignet sei, Beschwerden wie Impotenz zu verursachen. Hiermit war der Mann nicht einverstanden. Nach seiner Auffassung müsse eine weitere Begutachtung stattfinden und seine Frau als Zeugin vernommen werden. Hierdurch könne ein Behandlungsfehler bestätigt werden.

Kein Anspruch auf weitere Begutachtung

Das LSG hat einen weitergehenden Unterstützungsanspruch verneint. Die Kasse habe ihrer gesetzlichen Hilfspflicht bereits durch Einholung des vorliegenden Gutachtens entsprochen. Nach dem Willen des Gesetzgebers ziele der Unterstützungsanspruch darauf ab, dem Versicherten eine mögliche Beweisführung in seiner Rechtsverfolgung zu erleichtern. Unterstützungsleistungen beschränkten sich regelmäßig auf die Verschaffung von Auskünften über die vom Arzt gestellten Diagnosen, die angewandte Therapie, die Namen der Behandler, die Anforderung ärztlicher Unterlagen von der Behandlung und die Begutachtung durch den MD. Der Umstand, dass der Kläger mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden sei, verpflichte die Kasse nicht dazu, ein weiteres Gutachten einzuholen oder Zeugen zu vernehmen.

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.5.2023, L 16 KR 432/22, PM vom 12.6.2023


Grundsicherung:

Verschwiegenes Vermögen führt zu Rückforderung durch Jobcenter

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden: Die unterbliebene Mitteilung von Kapitallebensversicherungen kann zu erheblichen Rückforderungen von Grundsicherungsleistungen führen, die den Wert der Versicherungen sogar übersteigen können. |

Das war geschehen

Zugrunde lag das Verfahren einer 1958 geborenen Frau aus dem Landkreis Celle, die seit 2013 Grundsicherungsleistungen bezog. Weder im Antrag noch in der Folgezeit informierte sie das Jobcenter über zwei Kapitallebensversicherungen im Wert von rd. 13.500 Euro. Erst, als ihr Ex-Mann 2019 gegenüber dem Jobcenter seinen Anspruch auf die Hälfte der Versicherungsleistungen anmeldete, wurden die Verträge bekannt. Die Behörde machte daraufhin eine Rückforderung von rd. 14.000 Euro geltend, da der Vermögensfreibetrag von 9.600 Euro überschritten wurde und die Frau daher nicht hilfebedürftig gewesen sei.

So argumentierte die Klägerin

Hiergegen klagte sie und argumentierte, dass sie von den Verträgen keine Kenntnis gehabt habe. Ihr Ex-Mann habe diese zu Ehezeiten für sie abgeschlossen und habe die Unterlagen bei der Trennung mitgenommen. Sie habe erst jetzt von den Versicherungen erfahren und habe das Jobcenter umgehend informiert. Außerdem meinte sie, dass höchstens der Versicherungswert oberhalb des Freibetrags berücksichtigt werden könne.

Im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen stellte sich jedoch heraus, dass die Frau die Verträge persönlich unterschrieben und jährliche Wertmitteilungen erhalten hatte.

So entschied das Gericht

Das LSG hat die Rückforderung des Jobcenters bestätigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Verträge ohne „Hartz-IV-Klausel“ kein geschütztes Altersvorsorgevermögen seien. Die Rückforderung sei auch nicht auf die den Vermögensfreibetrag der Frau übersteigenden ca. 4.000 Euro zu begrenzen. Vielmehr entfalle der Grundsicherungsanspruch der Frau in jedem Monat, in dem das Vermögen real vorhanden und nicht verbraucht sei, sodass die gesamten ca. 14.000 Euro zurückzuzahlen seien. Einen Vertrauensschutz hat das Gericht verneint, da die Klägerin die Verträge vorsätzlich verschwiegen hat. Ihr anderslautender Vortrag sei nicht glaubhaft.

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.4.2023, L 11 AS 221/22, PM vom 15.5.2023

Comments are closed.

Previous Next
Close
Test Caption
Test Description goes like this