Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht Info - 08.2020

16.08.2020
|
Arzneimittelgesetz: Es bleibt dabei:

Keine Geschenkzugaben bei Rezepteinlösung in der Apotheke

| Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden, dass inländische Apotheken ihren Kunden beim Erwerb verschreibungspflichtiger Arzneimittel keine Vorteile in der Form von Sachleistungen versprechen und gewähren dürfen. |

Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke im Bezirk der beklagten Apothekerkammer. Im November 2013 und im Januar 2014 gab sie Werbeflyer mit Gutscheinen heraus, die bei Abgabe eines Rezeptes gegen eine Rolle Geschenkpapier bzw. ein Paar Kuschelsocken eingelöst werden konnten. Die Beklagte untersagte ihr daraufhin durch Ordnungsverfügung vom 1.4.2014, „gekoppelt mit dem Erwerb von verschreibungspflichtigen und/oder sonstigen preisgebundenen Arzneimitteln Vorteile, wie z.B. eine Rolle Geschenkpapier, ein Paar Kuschelsocken oder Gutscheine hierfür zu gewähren oder gewähren zu lassen sowie dafür zu werben oder werben zu lassen“. Zur Begründung verwies sie auf ihre Berufsordnung, die es den Apothekerinnen und Apothekern verbiete, preisgebundene Arzneimittel unter Gewährung von Rabatten oder sonstigen geldwerten Vorteilen an ihre Kunden abzugeben. Die dagegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

Das BVerwG hat die Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen als Vorinstanz hat im Einklang mit Bundesrecht angenommen, dass die Untersagungsverfügung der Beklagten rechtmäßig ist. Die Klägerin verstößt, indem sie ihren Kunden für den Erwerb eines rezeptpflichtigen Arzneimittels eine Sachzuwendung verspricht und gewährt, gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung. Laut Arzneimittelgesetz ist insbesondere für verschreibungspflichtige Arzneimittel ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten; die Einzelheiten der Preisberechnung sind in der Arzneimittelpreisverordnung geregelt.

Die gesetzlichen Regelungen über die Preisbindung dienen vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls. Sie sind geeignet, einen Preiswettbewerb zwischen den inländischen Apotheken zu verhindern und so das Ziel des Gesetzgebers zu fördern, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Die Preisbindung erweist sich auch nicht wegen ihrer Nichtgeltung für ausländische EU-Versandapotheken als unverhältnismäßig. Angesichts des bislang geringen Marktanteils der ausländischen Arzneimittelversender an der Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland ist die Preisbindung für die inländischen Apotheken weiterhin zumutbar.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 9.7.2020, 3 C 20.18.


Kapitalanleger:

Weitere Folgen des VW-Abgasskandals: Musterverfahren gegen Porsche SE

| Der für das Kapitalmarktrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass das beim Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Volkswagen AG zur Verletzung von Publizitätspflichten im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal einem weiteren Kapitalanleger-Musterverfahren beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gegen die Porsche SE nicht entgegen steht. |

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf: Die Porsche Automobil Holding SE („Porsche SE“) ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an der Volkswagen AG beteiligt. Im Jahr 2007 stellte die Volkswagen AG eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung EA 189 vor, die sie ab dem Jahr 2008 baute und auch in den USA vermarktete. Am 22.9.2015 veröffentlichte die Volkswagen AG eine Ad-hoc-Meldung, der zufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit rund 11 Mio. Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 Auffälligkeiten bezüglich ihres Stickoxidausstoßes aufwiesen, weshalb sie beabsichtige, im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund 6,5 Mrd. Euro ergebniswirksam zurückzustellen. Am selben Tag informierte die Porsche SE in einer Ad-hoc-Meldung hierüber und teilte mit, dass bei ihr infolge der Kapitalbeteiligung an der Volkswagen AG ein entsprechender ergebnisbelastender Effekt zu erwarten sei. In der Zeit ab Mitte September 2015 brachen die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien der Volkswagen AG und der Porsche SE ein.

Mit einem Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig soll nun geklärt werden, ob die Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem als VW-Abgasskandal bezeichneten Sachverhalt ihre Publizitätspflichten verletzt hat.

Das Landgericht (LG) Stuttgart hat dem OLG Stuttgart zur Herbeiführung eines Musterentscheids Feststellungsziele vorgelegt, mit denen die unmittelbare Betroffenheit der Porsche SE von Vorgängen aus dem Bereich der Volkswagen AG, hieraus folgende Ad-hoc-Mitteilungspflichten und Fragen der Wissenszurechnung geklärt werden sollen. Das OLG Stuttgart hat zunächst ein weiteres Kapitalanleger-Musterverfahren im Hinblick auf das vor dem OLG Braunschweig anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren für unzulässig erklärt. Die Entscheidung in einem weiteren Kapitalanleger-Musterverfahren sei von der Entscheidung des OLG Braunschweig über die Feststellungsziele des dortigen Kapitalanleger-Musterverfahrens abhängig und beide Verfahren beträfen mit den Vorgängen bei der Volkswagen AG denselben Lebenssachverhalt. Gegen diese Entscheidung haben sich Kapitalanleger mit ihren vom OLG Stuttgart zugelassenen Rechtsbeschwerden gewandt.

Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über die Bestimmung eines Musterklägers an das OLG zurückverwiesen. Ein weiteres Kapitalanleger-Musterverfahren ist wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ausgeschlossen, soweit die Entscheidung über die Feststellungsziele in einem bereits eingeleiteten Musterverfahren die Prozessgerichte in den Verfahren bindet, die im Hinblick auf die Feststellungsziele des weiteren Musterverfahrens auszusetzen wären. Bei Schadenersatzansprüchen, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, hat eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung für andere Prozesse, wenn diese dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen.

Das Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig sperrt danach das Verfahren vor dem OLG Stuttgart nicht, weil Gegenstand der Feststellungsziele des vor dem OLG Braunschweig eingeleiteten Musterverfahrens Schadenersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinformationen der Volkswagen AG sind, während das Verfahren vor dem OLG Stuttgart öffentliche Kapitalmarktinformationen der Porsche SE betreffen soll. Dass Vorgänge bei der Volkswagen AG jedenfalls mittelbar in beiden Verfahren von Bedeutung sind, ist nicht entscheidend.

Quelle | BGH, Beschluss vom 16.6.2020, II ZB 10/19, Abruf-Nr. 216944 unter www.iww.de


Corona-Pandemie: Kurzfristige Beschäftigung:

Erhöhte Zeitgrenzen bis zum 31.10.2020 und die Folgen

| Durch das Sozialschutz-Paket vom 27.3.2020 zur Abfederung sozialer und wirtschaftlicher Folgen der Corona-Pandemie für die Bürgerinnen und Bürger wurden die Zeitgrenzen für eine sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung übergangsweise vom 1.3. bis zum 31.10.2020 von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen auf fünf Monate oder 115 Arbeitstage angehoben. Hier stellt sich nun u. a. die Frage, welche Zeitgrenze gilt, wenn eine Beschäftigung über den 31.10.2020 hinausgeht. |

Ab dem 1.11.2020 liegt eine kurzfristige Beschaftigung nur noch dann vor, wenn die Beschaftigung unter Berücksichtigung von Vorbeschaftigungszeiten seit ihrem Beginn in 2020 auf langstens drei Monate bzw. 70 Arbeitstage befristet ist.

Beispiel: Ein Arbeitnehmer beginnt zum 1.7.2020 eine Beschäftigung. Die Anstellung ist bis zum 30.11.2020 befristet.

Mit Beschäftigungsbeginn liegt eine kurzfristige Beschäftigung vor, da die erhöhten Zeitgrenzen anzuwenden sind. Zum 1.11.2020 ist die Beschäftigung neu zu beurteilen. Da hier wieder die „alten“ Grenzen gelten, liegt ab dem 1.11. keine kurzfristige Beschäftigung mehr vor.

Quelle | Sozialschutz-Paket vom 27.3.2020, BGBl I 2020, S. 575; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Rundschreiben vom 30.3.2020, Abruf-Nr. 215178 unter www.iww.de.


Umsatzsteuerzahler:

Übernommene Umzugskosten durch den Arbeitgeber

| Übernimmt ein Unternehmen die Umzugskosten seiner Arbeitnehmer wegen einer konzerninternen Funktionsverlagerung aus dem Ausland in das Inland, ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Vorsteuerabzug möglich, wenn ein übergeordnetes betriebliches Interesse an dem Umzug besteht. Die Finanzverwaltung hat auf dieses Urteil nun reagiert und den Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) insoweit angepasst. |

Nicht steuerbare Leistungen liegen vor, wenn betrieblich veranlasste Maßnahmen zwar auch die Befriedigung eines privaten Bedarfs der Arbeitnehmer zur Folge haben, diese Folge aber durch die mit den Maßnahmen angestrebten betrieblichen Zwecke überlagert wird.

Nun gehört hierzu auch die Übernahme von Umzugskosten durch den Arbeitgeber für die hiervon begünstigten Arbeitnehmer, wenn die Kostenübernahme im ganz überwiegenden betrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegt.

BEACHTEN SIE | Auch bei einem dominierenden Arbeitgeberinteresse ist ein Vorsteuerabzug regelmäßig nur dann zulässig, wenn die umzugsbezogenen Leistungen vom Arbeitgeber selbst und für eigene Rechnung beauftragt wurden. Der Arbeitgeber muss also der vertragliche Leistungsempfänger der umzugsbezogenen Leistungen sein.

Quelle | BMF-Schreiben vom 3.6.2020, III C 2 – S 7100/19/10001 :015, Abruf-Nr. 216007 unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 6.6.2019, V R 18/18.

Comments are closed.

Previous Next
Close
Test Caption
Test Description goes like this