Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht Info - 10.2023

1.10.2023
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Umweltbewusstsein:

Bewerbung von Produkten als „klimaneutral“ oder „umweltneutral“

| Das Landgericht (LG) Karlsruhe hat der Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. stattgegeben und entschieden, dass die Beklagte, eine bekannte Drogeriemarkt-Kette, es künftig unterlassen muss, Produkte (hier: Flüssigseife, Sonnenmilch, Cremedusche) auf der Verpackung mit dem Begriff „klimaneutral“ (unter Verweis auf eine „ClimatePartner“-Nummer und mit dem Zusatz „CO2-kompensiert“) und Produkte (hier: Spülmittel) auf der Verpackung mit dem Begriff „Umweltneutrales Produkt“ zu bewerben. |

Werbung mit dem Claim „klimaneutral“

Die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ (verstanden als „ausgeglichene Treibhausgasbilanz“) ist bei zwei der herausgegriffenen Produkte zu unterlassen, weil die Beklagte dem angesprochenen Verbraucher wesentliche Informationen zum Verständnis dieses Begriffs vorenthält. Die Beklagte hat bei den betroffenen Produkten jeweils angegeben, das Produkt sei klimaneutral im Sinne von CO2-kompensiert. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Verpackung nicht, wohl aber sind sie auf Internetseiten der ClimatePartner GmbH zu finden, von der die Beklagte das entsprechende Logo bezogen hat. Dabei geht es um die weiteren, für den umweltinteressierten durchschnittlichen Verbraucher wesentlichen Informationen darüber, auf welche Schritte im Lebenszyklus eines Produkts sich der Claim der Klimaneutralität bezieht. Es geht darum, ob bestimmte (gasförmige) Emissionen von der Bilanzierung ausgenommen wurden, und anhand welcher Kriterien die Prüfung für das Label des jeweiligen Zertifizierungspartners hier der ClimatePartner GmbH erfolgt ist.

Auf eine Internetseite für die näheren Informationen zu verweisen, ist rechtlich zulässig. Der Verbraucher muss aber aus dem Aufdruck auf der Verpackung erkennen können, dass es eine entsprechende Internetseite gibt. Dies ist bei zwei der herausgegriffenen Produkte nicht der Fall, weil hierbei lediglich zusammen mit dem Logo der ClimatePartner GmbH der Schriftzug „ClimatePartner“ und eine längere Ziffernfolge angegeben sind.

Werbung kann Versprechen nicht einlösen

Die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ ist ferner bei allen drei herausgegriffenen Produkten nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (hier: § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG) zu unterlassen, weil sie ein klimaneutrales Produkt verspricht, dieses Versprechen aber aus prinzipiellen Gründen nicht einlösen kann. Dabei kommt es nicht auf eine etwaige subjektive Absicht der Irreführung an; dafür sieht die Kammer auch keinerlei Anhaltspunkt. In objektiver Hinsicht erweckt der Claim indes bei den angesprochenen Verkehrskreisen ein Verständnis, das nicht der Realität entspricht.

Die Kompensation der produktbezogen emittierten Treibhausgase soll bei den von ClimatePartner zertifizierten Produkten durch Zahlungen in bestimmte Projekte erfolgen, unter anderem ein Waldschutzprojekt in Peru. Dass der weltweite Schutz des Waldes ein wichtiges Mittel beim Klimaschutz darstellt, steht außer Frage. Daraus lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass Treibhausgaskompensation über entsprechende Zertifikate auf dem freiwilligen Zertifikatemarkt die wettbewerbsrechtliche Berechtigung verleiht, das kompensierte Produkt als klimaneutral bewerben zu dürfen. Der Claim der Klimaneutralität des Produkts geht nämlich prinzipiell über das hinaus, was mittels CO2-Zertifikaten aus Waldschutz erreichbar ist.

Erwartungshaltung der Verbraucher nicht erfüllt

Der Verbraucher erwartet, dass eine Kompensation von Emissionen, die im Ergebnis zur Klimaneutralität des Produkts führen soll, diese auch tatsächlich bewirkt. Das produktbezogen emittierte Treibhausgas muss also dauerhaft bilanziell neutralisiert worden sein. CO2 besitzt jedoch in der Atmosphäre eine Verweildauer, die weit über die Laufzeit der Waldschutzprojekte hinausgeht. Wald bindet und speichert CO2 demgegenüber nur vorübergehend. Wenn ein Baum gefällt wird und vermodert oder auch abbrennt, setzt er das gespeicherte Treibhausgas wieder frei. Erreicht wird durch erfolgreiche, korrekt aufgesetzte Waldschutzprojekte sicherlich, dass mehr Wald für längere Zeiträume erhalten wird, wodurch in den entsprechenden Zeiträumen die CO2-Speicherkapazität des geschützten Waldes höher ist als im hypothetischen Szenario ohne das Projekt. Dies ist allerdings ein völlig anderer Effekt als der, den der Verbraucher aufgrund des „Klimaneutral“-Claims erwartet. Die produktbedingten, anthropogenen, zusätzlichen CO2-Emissionen sind hunderte oder tausende Jahre nachweisbar; gebunden und gespeichert wird die entsprechende Menge an CO2 durch das konkrete Waldschutzprojekt nur für Jahrzehnte. Danach ist die vorübergehend ausgeglichene CO2-Bilanz des Produkts wieder unausgeglichen. Um sie dauerhaft auszugleichen, müssten kontinuierlich auch in 100 oder 1000 Jahren weitere entsprechende Waldschutzbemühungen unternommen werden. Das hier fragliche Projekt in Peru läuft jedoch nur bis 2040, die bis dahin ausgegebenen Zertifikate sind ein für allemal „verdient“. Danach kann es zwar, wenn die grundlegenden Bedingungen sich nicht verändert haben, verlängert oder ein neues am selben Ort aufgesetzt werden. Daraus entspringen dann aber neue handelbare Zertifikate für neue Emissionen.

Werbung mit dem Claim „Umweltneutrales Produkt“

Auch bei dem insoweit herausgegriffenen Produkt liegt ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot vor. Die Werbung ist überschießend und damit unzutreffend.

Der neu kreierte Begriff der „Umweltneutralität“ wird von den angesprochenen Verbrauchern parallel zum bereits bekannten Begriff der Klimaneutralität im Sinne eines „Produkts mit ausgeglichener Umweltbilanz“ verstanden. Die so beworbenen Produkte besitzen jedoch keine ausgeglichene Umweltbilanz. Denn bislang werden von dem GREENZERO-Ansatz (den die Beklagte von der Streithelferin übernommen hat) nicht alle Umweltauswirkungen erfasst, sondern nur die Kategorien CO2-Emissionen, Eutrophierung (Nährstoffeintrag), Versauerung, Sommersmog und Ozonabbau. Auch wenn es sich bei diesen fünf Auswirkungen um die mit den relativ höchsten Umweltkosten handeln mag, verbleiben immerhin acht von 13 Wirkkategorien von Umweltbelastungen nach bisherigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis unberücksichtigt. Das Marketing der Beklagten für ihre „Pro Climate“-Produktlinie kommt insofern verfrüht.

Erwartungshaltung der Verbraucher auch hier nicht erfüllt

Es gelingt der Beklagten auch nicht, so das LG, die absolute, überschießende und mithin falsche Behauptung der Umweltneutralität durch Erläuterungen auf der Verpackung so zu relativieren, dass nach dem Gesamteindruck des Verbraucherverständnisses eine zutreffende Werbung vorliegt. Dabei unterstellt das Gericht zugunsten der Beklagten, dass der auf zwei Erläuterungen verweisende Sternchenhinweis auf der Verpackung trotz seiner geringen Größe und Positionierung am Rand der Verpackung vom Verbraucher überhaupt entdeckt wird. Doch bei näherer Betrachtung wird das aus der Werbung mit den Worten „Umweltneutrales Produkt“ fehlerhaft vorgeprägte Verständnis des Verbrauchers durch die näheren Erläuterungen letztlich verstärkt. Der Verbraucher erhält den unzutreffenden Eindruck, das Produkt sei durch Reduktion und Kompensation von Umwelteinwirkungen unter dem Strich vollständig umweltneutral gestellt.

Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 26.7.2023, 13 O 46/22 KfH, PM vom 26.7.2023


Sozialversicherungspflicht:

Selbstständig tätig oder doch abhängig beschäftigt?

| Bei Betriebsprüfungen der Sozialversicherung kommt es immer wieder zum Streit, ob jemand für einen Betrieb selbstständig tätig ist oder in einer abhängigen Beschäftigung steht. Aktuell musste sich das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg mit dieser Thematik beschäftigen. |

Das war geschehen

Ein Fluglehrer/Flugtrainer bildete an Flugsimulatoren künftige Piloten aus. Dafür vereinbarte er mit seinem Auftraggeber einen Stundensatz von 110 Euro.

Nach Ansicht des LSG Berlin-Brandenburg stand der Trainer in einer abhängigen Beschäftigung und zwar aus folgenden Gründen:

Wesentliches Merkmal: Kein unternehmerisches Risiko

Der Trainer war in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert. Denn er erhielt den Auftrag, die Flugschüler auszubilden, nicht direkt von einer Airline, sondern vom Auftraggeber. Die Simulationsfluggeräte erhielt er auch vom Auftraggeber. Somit trug er als Trainer kein unternehmerisches Risiko, was für eine selbstständige Tätigkeit sprechen könnte. Eine Betriebsausstattung in einem relevanten Umfang benötigte der Trainer nicht.

Auf die Vergütungshöhe kam es nicht an

Die Höhe der Vergütung ist kein entscheidendes Kriterium für eine Selbstständigkeit. Die Vergütung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur ein Indiz. Die Unterschiede der dem Fluglehrer gewährten Sätze hochgerechnet zu einer Vollzeitdauerbeschäftigung zu einem (hypothetischen) Bruttogehalt eines gedachten angestellten Instruktors würden sich relativieren, weil für Arbeitnehmer die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung hinzuzurechnen sind und der Fluglehrer nicht ständig, sondern nur bei Bedarf beschäftigt wurde bzw. wird.

Bei nur fallweise benötigten qualifizierten Arbeitskräften ist die Zahlung eines höheren Arbeitslohns auch ein Ausgleich dafür, dass sich diese kurzfristig auf Abruf zur Verfügung stellen, was die Möglichkeit beschäftigungsloser Zeiten einschließt.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da die Revision beim BSG anhängig ist.

Auf der sicheren Seite mit dem Clearingverfahren der Deutschen Rentenversicherung

Um dem bösen Erwachen bei der nächsten Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) vorzubeugen, sollten Beteiligte bereits vor der Einstellung des Auftragnehmers bei der DRV Bund ein Clearingverfahren anstreben. Dieses Verfahren kann vom Auftragnehmer, aber auch vom Auftraggeber betrieben werden.

Beachten Sie | Ohne Clearingverfahren gibt es keine Sicherheit. Stellt sich nämlich bei der Betriebsprüfung heraus, dass jemand doch nicht selbstständig tätig ist, sondern eine abhängige Beschäftigung vorliegt, hat am Ende der Auftraggeber bzw. der Arbeitgeber das Nachsehen. Er muss, mit Ausnahme der letzten drei Monate vor der Betriebsprüfung der DRV, neben den Arbeitgeberanteilen auch für die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung aufkommen.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.1.2023, L 1 BA 67/19, Rev. BSG, B 12 BA 2/23 R, Abruf-Nr. 235261 unter www.iww.de

 

 

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