Familienrecht Info - 09.2022

3.09.2022
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Freiheitsrecht:

Lange Unterbringung muss gut begründet werden

| Die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung beläuft sich auf ein Jahr. Soll eine Unterbringung darüber hinaus, z. B. eine solche von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet werden, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |

Das war geschehen

Für den Betroffenen bestand seit einigen Jahren eine Betreuung. Er war auch mehrere Jahre in stationärer psychiatrischer Behandlung. Er leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom nach einem durch einen Verkehrsunfall bedingten Schädel-Hirn-Trauma sowie langjähriger Alkoholabhängigkeit mit Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Das Amtsgericht (AG) hat wiederholt die Unterbringung genehmigt. Der letzte Beschluss war auf eine Unterbringung von knapp zwei Jahren gerichtet. Die Beschwerde des Betroffenen dagegen war erfolglos, seine Rechts-beschwerde beim BGH hingegen erfolgreich.

Der BGH beanstandete die Unterbringung als solche nicht. Eine zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer wegen Selbstgefährdung des Betroffenen verlange keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr. Notwendig sei aber eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib oder Leben. So könne etwa auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist.

Hohe Hürden für Überschreitung der Regeldauer von einem Jahr

Nur bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit dürfe aber abweichend von der Regeldauer von einem Jahr eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren beschlossen werden. Dies könne nur unter besonderen Voraussetzungen erfolgen und sei ausreichend zu begründen. Solche Gründe könnten sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben.

Dies muss für das Gericht deutlich und erkennbar hervortreten. Hierzu hatte das Landgericht (LG) keine Feststellungen getroffen. Folge: Seine Entscheidung war rechtsfehlerhaft.

Quelle | BGH, Beschluss vom 30.3.2022, XII ZB 35/22, Abruf-Nr. 229352 unter www.iww.de


Ehescheidung:

Zwei querschnittsgelähmte Ehegatten: Wohnungszuweisung

| Die Zuweisung einer gemeinsamen Ehewohnung nach Scheidung eines kinderlosen Ehepaars richtet sich vorrangig danach, wer stärker auf ihre Nutzung angewiesen ist. Sind beide Ehegatten querschnittsgelähmt, sind in die Abwägung insbesondere der Grad der Pflegebedürftigkeit sowie die sozialen Bindungen an das Umfeld einzubeziehen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die vom Amtsgericht (AG) ausgesprochene Zuweisung der Wohnung an den früheren Ehegatten bestätigt, da er u.a. im höheren Maße auf pflegerische Unterstützung angewiesen ist und die Wohnung in seinem früheren Elternhaus liegt. |

Das war geschehen

Die Beteiligten heirateten 2005 und sind seit einem Jahr rechtskräftig geschieden. Die Ehe blieb kinderlos. Sie streiten um die Überlassung der in ihrem Miteigentum befindlichen Ehewohnung anlässlich ihrer Scheidung. Die 130 qm große Wohnung befindet sich im Elternhaus des Antragstellers. Sie verfügt über Wohn- und ein Schlafzimmer, Küche, Flur, einen Anbau und zwei behindertengerechte Bäder. Gegenwärtig nutzen der Antragsteller das Schlafzimmer und ein Bad und die Antragsgegnerin das Wohnzimmer und ein Bad.

Der Antragsteller ist seit 1984 querschnittsgelähmt und auf tägliche Pflege in Form der Unterstützung bei der An- und Entkleidung sowie beim Toilettengang angewiesen. Seine seit 2018 beschäftigte Pflegekraft ist mittlerweile seine Lebensgefährtin. Die Antragsgegnerin ist seit 1976 querschnittsgelähmt und ebenfalls, wenn auch nicht im selben Umfang, auf eine Pflegekraft angewiesen. Sie benötigt keine Hilfe beim Toilettengang.

So sahen es die Gerichte

Das AG hatte die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller die Wohnung ab dem 1.7.2022 zur alleinigen Nutzung zu überlassen. Das OLG verlängerte die Frist bis zum 1.11.2022 und wies im Übrigen die Beschwerde der Antragsgegnerin zurück. Ein Ehegatte könne die Überlassung der Ehewohnung anlässlich der Scheidung u.a. dann verlangen, wenn er auf deren Nutzung in stärkerem Maße angewiesen ist als der andere oder aus anderen Gründen der Billigkeit. Dabei seien alle die Lebensverhältnisse der Ehegatten bestimmenden Umstände in eine Gesamtabwägung einzubeziehen. Hier sei der Antragsteller insbesondere wegen der erforderlichen Anwesenheit einer Pflegeperson auf eine größere Wohnung angewiesen als die Antragsgegnerin. Der Pflegebedarf des Antragstellers übersteige den der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller habe bereits vor Einzug der Antragsgegnerin in der Wohnung gewohnt und sei in dem Ort, an dem er seit 1987 lebe, sozial verwurzelt. Sein Bruder wohne ebenfalls im Haus. Zu berücksichtigen sei, dass der Antragsteller eine in der Nähe wohnende Lebensgefährtin habe. Trotz der besseren wirtschaftlichen Verhältnisse sei er stärker auf die Nutzung der Ehewohnung angewiesen als die Antragsgegnerin, die nicht über vergleichbare Bindungen im Ort verfüge.

Ehemann hatte höheres Schutzbedürfnis

Ergänzend sei zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Billigkeitsabwägung auch dem schützenswerten Interesse des Antragstellers, im elterlichen Haus wohnen zu bleiben, erhebliches Gewicht zukomme. Dass die Antragsgegnerin an der Finanzierung des Wohnungskaufs beteiligt gewesen sei, könne den höheren sozialen Bezug des Antragstellers zur bewohnten Wohnung nicht mindern. Die Überlassungsfrist sei jedoch wegen der erheblichen Schwierigkeiten der Antragsgegnerin, angesichts ihrer körperlichen Einschränkungen angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, bis November zu verlängern. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.5.2022, 6 UF 42/22, PM 43/22


Unterhaltsverpflichtung:

Höhe des Kindesunterhalts und mietfreies Wohnen

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt klargestellt: Das mietfreie Wohnen beeinflusst nicht die Höhe des Kindesunterhalts. |

Die Mutter und der Vater sind miteinander verheiratet, leben aber getrennt. Sie haben drei minderjährige Kinder. Sie leben seit der Trennung in einer Immobilie, die zu 60 % im Miteigentum des Vaters und zu 40 % im Miteigentum der Mutter steht. Weder Ehegattenunterhalt noch Nutzungsentschädigung werden verlangt oder gezahlt.

Der Vater verpflichtete sich, für die Kinder ab dem 1.4.2016 115 % des Mindestunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen. Die Mutter wollte jedoch, dass jeweils 128 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle ab dem 1.8.2016 zu zahlen sind. Zudem hat sie für zwei Kinder Mehr- und für ein Kind Sonderbedarf wegen einer kieferorthopädischen Behandlung geltend gemacht. Der Vater ist als Bundesbeamter in der Informationstechnik, die Mutter ist in Teilzeit mit 25 Stunden wöchentlich beruflich tätig.

Die Frage der teilweisen Deckung des Bedarfs mittels teilweiser Gewährung einer Wohnung wirkte in diesem Fall auf den gesamten Unterhaltsanspruch aus. Der BGH entschied dies, wie eingangs beschrieben. Er stellte klar: Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Wohnraum wird vorrangig im unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern ausgeglichen. Ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich kann auch darin bestehen, dass der Betreuungselternteil keinen Anspruch auf Trennungsunterhalt geltend machen kann, weil nach der Zurechnung des vollen Wohnwerts keine auszugleichende Einkommensdifferenz zwischen den Eltern mehr besteht.

Der BGH weiter: Die Eltern können eine nach den Umständen des Einzelfalls gegebenenfalls auch konkludente Vereinbarung darüber treffen, dass die Wohnungskosten durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen abgedeckt werden. Für die Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs aufgrund einer solchen Vereinbarung trifft den Barunterhaltsschuldner die Darlegungs- und Beweislast. Bevor die Haftungsquote für den anteiligen Mehrbedarf bestimmt wird, ist von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern zu bestimmten. Hiervon abzuziehen sind das hälftige auf den Barunterhalt entfallende Kindergeld und der vom Kindesvater geleistete Barunterhalt. In der verbleibenden Höhe leistet der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergelds, die der betreuende Elternteil erhält, ist nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen.

Quelle | BGH, Beschluss vom 18.5.2022, XII ZB 325/20, Abruf-Nr. 230374 unter www.iww.de

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